Stray Gods Test (PS5): Beeindruckendes griechisches Mythologie-Musical

von Mandi 09.08.2023

Wer viel Wert auf Storywendungen und Freiheiten bei einer Erzählung legt, wird Stray Gods sofort lieben. Für alle anderen gibt es dieses Review!

Über Stray Gods

Dieser Titel ist das Erstlingswerk von Summerfall Studios. Das Studio setzt sich aus mehreren Veteranen zusammen, die an hochkarätigen Spielen mitgewirkt haben – darunter der Dragon Age-Serie, Baldur’s Gate 2, Neverwinter Nights, Star Wars: Knights of the Old Republic und mehr. Da kann man schon einiges an Qualität erwarten, nicht wahr? Stray Gods liefert diese auch, allerdings in einem mehr als ungewöhnlichen Paket. Denn, und das ist so ziemlich einzigartig, in diesem Spiel wird euch ein Mordfall serviert, den es zu lösen gilt. Doch wer gleich an Professor Layton und Konsorten denkt, ist schief gewickelt – dieses Game geht einen ganz eigenen, unwiderstehlichen Weg. Denn die Protagonistin Grace, ihres Zeichens College-Abbrecherin auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, wird in den ersten Spielminuten in eine Welt gezogen, die alles in Frage stellt, was sie kennt.

In den ersten Minuten wird Grace, ohne es zu wissen, zu einer Gottheit, genauer gesagt, einem Idol, einer Muse. Was dies allerdings bedeutet, welche Macht ihr dadurch erlangt und warum dann plötzlich Namen wie Athena, Apollo, Aphrodite und Persephone als selbst ernannter Chorus auf eurer Matte stehen, das klärt sich erst im Laufe von Stray Gods. Genauso wundert man sich vielleicht anfangs, warum die ersten Dialoge gesungen werden, das ist sehr atypisch. Doch rasch wird klar: Das Ganze ist eine clevere Spielmechanik, die sich durch den Titel zieht. In sieben Tagen müsst ihr den Mordfall lösen, also gilt es, Orte zu besuchen und Personen zu befragen. Somit sind die Songs in Stray Gods, wie bereits vorgestellt, ein Mix aus Verhör sowie Story-Instrument und stellen gleichzeitig die Verzweigung all der gebotenen Möglichkeiten dar, wie sich die Handlung weiter entfalten kann. So sieht das in Action aus:

Sing-a-Song

Ein bisschen vorweggenommen: Graces Kraft als Muse erlaubt es ihr, Personen in einen singenden Zustand zu bringen. Das öffnet deren Herzen und macht sie ein Stück weit offener, was Geheimnisse, Befragungen und auch sonstige Themen anbelangt. Daher ist das eine hervorragende Mechanik für die Detektivin wider Willen – und stellt gleichzeitig einen guten Part des Gameplays in Stray Gods dar. Dazu kommt, dass ihr in jedem Song mehrere Auswahlmöglichkeiten habt, wie ihr weitersingen wollt, und das ermöglicht euch wieder ganz andere Ausgangspunkte. Damit nicht genug, es gibt auch eine große Auswahl an Figuren, die ihr verschieden behandeln könnt, und oft müsst ihr euch auch zwischen den Optionen entscheiden, wem ihr nun mehr vertraut oder mit wem ihr nun mitgehen wollt.

Es ist auch ziemlich nett anzusehen, wie sich die Charaktere den jeweiligen Situationen fügen oder unterwerfen müssen. Wenig musikalische Charaktere weigern sich anfänglich, in den Gesang mit einzustimmen (kommen aber eh nicht drum herum), während andere Figuren sofort mit kompletter Inbrunst ihre Geheimnisse offenbaren. Je nachdem, wie ihr euch in den jeweiligen Sequenzen entscheidet, kommt ihr so eher zu Beweisen, Hinweisen und neuen Orten, oder auch nicht. Stray Gods lässt euch bei den jeweiligen Entscheidungen freie Hand, und das Team von Summerfall Studios ist völlig zurecht stolz darauf, dass so Tausende an Variationen entstehen können. Kein Spieldurchgang soll so dem zweiten gleichen, und das funktioniert auch hervorragend. Man kann aber den Musical-Titel nicht loben, ohne die hervorragende Besetzung zu erwähnen.

Zur Umsetzung in Stray Gods

Denn wo man sofort sieht, dass es sich hier um ein Herzensprojekt des Studios handelt, ist die Besetzung der Synchronstimmen. Der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist die Hauptheldin Grace, die von Laura Bailey gesprochen wird. Sie ist nicht nur für das Mitwirken bei der erfolgreichsten D&D-Kampagne überhaupt, Critical Role, bekannt, sondern ist auch bei Videospielen kein unbeschriebenes Blatt. Laura Bailey spricht in The Last of Us Part 2 die Rolle der Abby, hat aber auch schon in World of Warcraft und Heroes of the Storm die Heldin Jaina gesprochen sowie in Star Wars: The Old Republic mitgemischt. Ihre Critical Role-Kollegin, Ashley Johnson, ist ebenfalls mit von der Partie, sie hat etwa Ellie in den The Last of Us-Teilen gesprochen. Troy Baker (Joel in The Last of Us), Felicia Day und noch einige andere sind ebenfalls an Bord: Da hat man sich nicht lumpen lassen.

Und das hört man! Die englische Originalfassung von Stray Gods ist voller Emotion, genauso muss das sein. Als Grace könnt ihr euch übrigens früh für einen Trait, also einen Charakterzug entscheiden. Wollt ihr lieber charmant, aggressiv oder klug sein? Je nachdem, wie ihr euch entscheidet, stehen euch im weiteren Spielverlauf dann andere, zusätzliche Dialog-Optionen offen. Das ist aber nicht nur in den regulären Gesprächen so, sondern auch in den einzelnen Songs. Aggressive Graces machen ihre Lieder dann eher zu angriffigen Power-Balladen, während eine clevere Grace gerne mit Tempi und Rhythmusänderungen spielt. Auch der Text ist dann unterschiedlich geraten, und alles in allem merkt man rasch, wie viel Herzblut und Gedanken in Stray Gods stecken müssen. Die Performance der Synchronbesetzung ist dabei durchgängig hoch, und kann Musical-Fans schnell beeindrucken!

Für wen ist das Spiel?

Bei einer simplen Beschreibung von Stray Gods tut man sich schwer, sich kurz zu fassen. Denn eigentlich erwartet euch hier ein Visual Novel, eine linear ablaufende Geschichte ohne viele Interaktionsmöglichkeiten. Doch so wie in Life is Strange kann sich der Weg, den ihr nehmt, je nach Dialog-Option dramatisch ändern, was dann an Detroit: Become Human erinnert. Da es sich grundsätzlich um das Aufklären eines Todesfalls handelt, sind dann auch Inspirationen von einem Twelve Minutes oder anderen Rätselspielen vorhanden. Ihr müsst nicht zwingend Koryphäen in der griechischen Mythologie sein, genauso wenig müsst ihr komplette Fans von zeitgenössischem Musiktheater oder des Broadways sein. Aber es hilft euch enorm, wenn ihr mit beiden Themen zumindest im Ansatz etwas anfangen könnt, und der teilweise figurbezogene Humor trifft dann noch viel mehr ins Schwarze.

Gleichzeitig werden hier die griechische Mythologie und die Inszenierung eines Todesfalls mühelos miteinander verbunden und ins 21. Jahrhundert verfrachtet. Wer etwa schon mal wissen wollte, wie sich ein Apollo, eine Athena oder ein Hermes mit WLAN anfreunden können, hat mit Stray Gods die beste Möglichkeit dafür! Dazu gesellt sich ein Hauch von existentiellem Humor, der gerade an der jüngeren Spielerschaft nicht verloren geht – ein wenig Weltschmerz hier, ein wenig Gesellschaftskritik da, und schnell entpuppt sich das generelle Skript des Spiels als edgy und doch irgendwie den Zeitgeist treffend. Ganz ernst nehmen sollte man den Titel nicht, aber die Gefahr besteht ohnehin nicht, da der Humor stets vorhanden ist, mal brachial, mal trocken und mal ganz subtil. Doch wie gesagt, auch ohne jede Vorkenntnis ist es möglich, das Game zu spielen, das funktioniert ebenso einwandfrei.

Die Gameplay-Schleife in Stray Gods

Um es nochmals zusammenzufassen: Um den Todesfall aufzuklären, müsst ihr Orte besuchen, dort mit Personen sprechen, ihnen mit eurer Musen-Kraft das eine oder andere Detail entlocken, und darauf aufbauend einen weiteren Schritt machen. Entweder werdet ihr an einen neuen Ort geführt, oder ihr werdet einer neuen Figur vorgestellt, und nach einer Sequenz beginnt ihr von vorne. Ihr sprecht mit ihr, entscheidet euch zwischen einer oder mehreren der Dialog-Optionen, und ein Verhör bricht immer in Musik aus. So spielt ihr euch durch originelle, vollständig interaktive Musiknummern, die von dem Grammy-nominierten Komponisten Austin Wintory (Journey, Banner Saga), Tripod (Musiker Scott Edgar, Steven Gates und Simon Hall) und Eurovision Australias eigenem Montaigne (Jess Cerro) komponiert wurden. 

Auch, wenn das jetzt etwas befremdlich klingt, diese Gameplay-Schleife funktioniert in Stray Gods hervorragend. Es ist zwar nicht mit einem Heavy Rain oder L.A. Noire zu vergleichen, bekommt aber durch die junge und freche Aufmachung, die den Figuren auf den Leib geschriebenen Dialogskripte und nicht zuletzt durch die eindrucksvolle Darbietung sämtlicher Synchronsprecher:innen einen ganz eigenen Reiz. Doch, und das ist meine persönliche Meinung, die größte Stärke des Spiels ist auch gleichzeitig seine größte Schwäche. Die ständigen Dialoge, das kraftvolle Singen bei den Verhören und die damit einhergehenden schnell zu treffenden Entscheidungen (die QTEs lassen sich abschalten) sowie das lineare Gameplay sorgen für einen bleibenden Eindruck eines einzigartigen Spiels. Doch dazu muss man in der Stimmung sein – dieses Spiel ist nicht gerade das Game-Pendant von easy listening.

Zum Wiederspielwert und mehr

Natürlich muss das Entwicklerstudio die Werbetrommel rühren und die Tausenden von Variationen, die im Spielverlauf von Stray Gods möglich sind, hervorheben. Aber würde man sich das überhaupt antun, den Titel mehrmals zu spielen? Diese Frage kann ich unumwunden mit einem klaren Ja beantworten. Denn – und diesen Vergleich ziehe ich gerne – ganz wie bei einem Heavy Rain ist es problemlos möglich, verschiedenste Spiel-Enden zu erleben. Und damit ist es auch möglich (und wahrscheinlich), dass ihr euch bei manchen Figuren komplett verschätzt und den falschen Personen vertraut. Es gibt mehr als nur ein mögliches Ende, wo ihr genau gar nichts aufgeklärt habt und völlig im Dunklen tappt, wer denn nun tatsächlich den Mordanschlag verübt hat. Oder war es überhaupt gar kein Mord? Je nachdem, wie ihr die Geschichte erlebt, ist hier alles schlüssig und nachvollziehbar!

Dadurch ergibt sich ein gewisses Maß an Wiederspielwert für Stray Gods. Denn mehrere Faktoren spielen hier mit: Durch die Wahl zwischen den drei Charakterzügen zu Beginn des Spiels stehen euch da schon mal ganz andere Türen offen. Jedes Gespräch kann eine andere Wendung nehmen, wenn ihr die einzelnen Figuren anders behandelt, und dann gibt es auch noch die Entscheidungen zu berücksichtigen, wo ihr als Nächstes hingeht oder wen ihr als Nächstes befragen wollt. Und, das ist sehr angenehm, die Spielzeit des Titels ist ja von Haus aus begrenzt: Ihr bekommt genau eine Woche, also sieben Spieltage Zeit, um den Fall zu lösen. Da ist es egal, ob ihr tatsächlich zu einem Schluss kommt oder nicht, das End-Event ist fix angesetzt und beendet das Spiel dann. Gut, dass das Spielen des Titels wirklich Spaß macht, und so greift man immer gern zum Game, wenn denn die Stimmung passt.

Über die Charaktere

Damit die Voraussetzungen dafür so oft wie möglich gegeben sind, hat sich das Team von Summerfall Studios viel Mühe gegeben. Das betrifft nicht nur das Casting des Synchronsprecherteams, sondern auch klarerweise die Dialoge zwischen den Figuren. In Stray Gods könnt ihr nämlich auch eine Romanze beginnen, und vier Charaktere stehen eurer Grace dafür zur Verfügung. Das ist aber nicht das Hauptthema im Spiel, so viel steht fest – immerhin gilt es ja, die Hintergründe eines Todesfalls zu klären! Ob ihr euch nun der Liebe hingebt, neutral bleibt oder streng logisch vorgeht, ihr müsst euch so oder so mit den einzelnen Figuren beschäftigen, und das zum Teil sogar mehrmals. Damit das nicht langweilig wird, wechselt man immer wieder zwischen den einzelnen Charakteren durch.

Unterschiedliche Geschmacksrichtungen gibt es jedenfalls viele, von Apollo, Persephone, Pan und dem Minotaurus über Athena, Eros, Aphrodite und Hermes bis hin zu Orpheus, Medusa und dem Orakel ist einiges mit von der Partie. Dass sie alle verschiedene Verhaltensweisen und Ansichten haben, lässt Stray Gods nur umso lebendiger wirken. Damit nicht genug, die Songs des Rollenspiel-Musicals gehen teilweise echt unter die Haut – ein weiteres Testament dafür, wie gelungen die Performances der Darsteller:innen sind. Auch, wenn das Design und die Aufmachung des Titels auf den ersten Blick so wirken, als ob sie eher für ein Nischenpublikum gedacht sind, wäre es ein Fehler, dem Game nicht zumindest eine faire Chance zu geben! Sehr gut ist es zudem, dass die Promotion-Materialien des Studios da nichts verfälschen und alles genau so wiedergeben, wie es im Spiel tatsächlich abläuft.

Stray Gods: Die Technik

Das bringt uns dann auch schon zur Präsentation: Die handgezeichneten Sequenzen erinnern an bekannte Animationen wie etwa The Legend of Vox Machina, aber haben auch etwas von den guten alten Telltale-Spielen. Viel Augenschmaus in Form von Effekten und 3D-Späßen dürft ihr euch klarerweise nicht erwarten, das ist aber auch by design so gewollt und seht ihr auch in den eingebetteten Trailer-Videos schon perfekt. Steht ihr aber auf den gebotenen Stil, so entführt euch Stray Gods mühelos in das Setting und verlockt euch auch immer wieder zu einem Weiterspielen. Die Gesichter der Charaktere sind ausdrucksstark und verleihen den Szenen je nach Situation eine gewisse Würze und unterstreichen die Dialoge treffend. Das interaktive Visual Novel kann hier auf jeden Fall punkten, und weil es technisch nicht allzu anspruchsvoll ist, bleibt die Wahl der Spiele-Plattform Geschmackssache.

Beim Sound würde ich allerdings schon alleine wegen des Potentials zu einer stationären Konsole greifen, mit einem entsprechenden Soundsystem. Die klangliche Darbietung der Stimmen wie auch Instrumente verdient es einfach, mit guten Geräten gehört zu werden, und da ist ein eventuelles Heimkino den eingebauten Nintendo Switch-Lautsprechern natürlich vorzuziehen. Alles am Sound scheint perfekt zu Stray Gods zu passen, und die Qualität ist jederzeit zu bemerken. Soweit ist alles hervorragend, doch – man glaubt es kaum – bei der Steuerung gibt es ein wenig zu bemängeln. In unserer Version, die wir vor dem Release des Spiels am 10. August 2023 für dieses Review spielen durften, war ausgerechnet die Steuerung des Dialogrades teilweise abgehackt. Das Einzige, was euch im Spiel wirklich voranbringt, sind Menüs und Dialoge, die sollten dann doch einwandfrei funktionieren! Ein Day One-Patch hat das dann auch behoben.

Ein echter Kracher als Erstlingswerk

Die Zutaten sind alle da: Ein interessanter Genre-Mix, ein starkes Aufgebot an Synchronsprecher:innen, eine packende Story und nicht zuletzt ein Wiederspielwert, der aufgrund der begrenzten Spielzeit (sieben Tage im Game) und der Vielzahl an Möglichkeiten sehr gerne in Anspruch genommen wird. Die Frage ist: Hat sich das frische Team von Summerfall Studios mit Stray Gods übernommen? Ich darf mit einem großen „Nein“ antworten – das Game bringt frischen Wind in die Branche und zeigt, was mit viel Commitment alles möglich ist. Dazu kommt, dass das Spiel auf sämtlichen modernen Plattformen (PC via Steam, PlayStation- und Xbox-Konsolen sowie Nintendo Switch) erscheint. Es ist technisch nicht besonders fordernd und sollte daher auch überall das selbe Erlebnis gewährleisten. In Zeiten von schlechten PC-Ports und problematischen Last-Gen-Versionen ein wahres Wunder!

Was hoffentlich nur ein kleines Hoppala am Rande ist: Unsere PS5-Version schien in manchen Songs mit unseren Eingaben zu kämpfen, was die eigentlich simple Steuerung mittels Dialog-Rad manchmal etwas ruckelig und daher frustrierend machte. Schon schade, wenn das eigentlich das einzige Gameplay im Spiel ist – das Thema wurde dann mit einem Day One-Patch behoben! Ihr müsst halt in Stimmung sein, um das Spiel mit seinen Eigenarten komplett genießen zu können. Denn der Titel hält seinen eigenen Rhythmus, ist nun mal mehr ein interaktives Erlebnis als ein Spiel, und das Game spielt ihr nicht einfach mal so nebenbei. Es erfordert eure Aufmerksamkeit und Konzentration, wenn ihr die Songs performt! Stray Gods ist ein einzigartiges Produkt von Musik-Fans für Musik-Fans, und das merkt man.

Wertung: 8.5 Pixel

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