Zak Garriss, leitender Autor von Life is Strange: Before the Storm, im Interview

von Marianne Kräuter 14.09.2017

“Die kürzesten Wörter, nämlich ‘ja’ und ‘nein’ erfordern das meiste Nachdenken”, meinte einst der antike griechische Philosoph Pythagoras. Ein Zitat dem Zak Garriss wahrscheinlich zustimmen würde. Schließlich verdient er seinen Lebensunterhalt damit, SpielerInnen vor knifflige Entscheidungen zu stellen. Dabei ist er der Überzeugung, dass Entscheidungen bedeutungsvoll sein können, auch wenn sie keine schwerwiegenden, weitreichenden Konsequenzen nach sich ziehen: „Der Akt der Entscheidungsfindung allein – egal wie langlebig die Konsequenzen sind – sorgt dafür, dass du dich mit den Charakteren im Spiel verbunden fühlst. Ich glaube nicht, dass eine Entscheidung am Ende all die Anspannung und den Aufbau bis dorthin zu Nichte macht.”

Da ich mich bei Life is Strange nach langem Hadern für das äußerst egoistische, „falsche“ Ende entschieden habe, tut es gut, diese Worte vom leitenden Autor des Prequels, Before The Storm, höchstpersönlich zu hören.

Kein Sicherheitsnetz für Chloe

Doch auch wenn Konsequenzen gar nicht so wichtig sind, bin ich trotzdem neugierig, welche Tragweite unsere Entscheidungen in Before the Storm haben werden.

In der Vorgeschichte begleiten wir statt Max die 16-jährige, rebellische Chloe. Erschaffen SpielerInnen dabei ihre eigene Hauptfigur oder setzt uns das Spiel eine fixe Chloe vor? „Wenn wir dem Spieler viele schwarze und weiße Entscheidungen geben und beide Versionen von Chloe sehr weit voneinander entfernt sind, wird sich die Geschichte schwer damit tun, sich dem anzupassen. Ich bin mehr an den Entscheidungen interessiert, die hier sind“ – dabei hält Garriss seine Handflächen etwas auseinander – „die in einer Art moralischer Grauzone leben. Und an einem Tag könnte ich mir eine Chloe vorstellen, die so reagiert und an einem anderen Tag könnte ich mir eine Version von Chloe vorstellen, die so reagiert.“

Trotz dieser Limitationen war das Erstellen einer glaubwürdigen, dramatischen Geschichte eine Herausforderung für das vierköpfige Autorenteam. Schließlich kann man der furchtlosen Chloe nicht so leicht Angst einjagen, wie der schüchternen Max. “Da Chloe nicht so ängstlich wie Max ist, gibt uns das die Gelegenheit, dich darüber nachdenken zu lassen, was einen Charakter wie Chloe erschrecken könnte. Mit jemandem wie Max kann eine Bedrohung im Hintergrund lauern und sie muss Schritt für Schritt ihren Mut finden. Mit Chloe ist das anders; sie ist scheinbar furchtlos, bis sie es auf einmal nicht mehr ist. Wenn man einen starken Charakter sieht, lässt einen das innehalten und darüber nachdenken. Das bietet eine zusätzliche Dimension.“

Die Spielmechaniken mussten daher ebenfalls an die neue Protagonistin und deren Chraktereigenschaften angepasst werden: „Die Rückspulmechanik [im ersten Spiel] erschuf eine Art Sicherheitsnetz, das zu Max‘ Charakter gepasst hat. Sie macht sich um ihre Entscheidungen Sorgen, sie stresst sich, ob sie das Richtige tut. Als wir das Spiel um Chloe herum gebaut haben, haben wir überlegt, wie ihre Herausforderungen aussehen werden, wie sie diesen Herausforderungen begegnet, und diese Art von Spielmechanik passte nicht dazu. Sie wird sich über ihre Entscheidungen nicht den Kopf zerbrechen, sondern durchbreschen und sich mit den Konsequenzen abfinden. Wir laden die SpielerInnen also ein, in ihre Haut zu versetzen und mit dem Unbehagen zu leben, die eigenen Entscheidungen nicht rückgängig machen zu können.“

Ein bisschen Hokus Pokus darf sein

Obwohl wir uns in Before the Storm also von der praktischen Zeitrückspulfunktion verabschieden, soll es auch im Prequel übernatürliche Elemente geben: „Nur weil Chloe keine Superkraft hat, heißt das nicht, dass wir die übernatürlichen Elemente weglassen, die Arcadia Bay so sonderbar machen.“, verspricht Garriss, „Auf eine Art wird es sogar sonderbarer als im letzten Spiel. Ich will nicht zu viel verraten, aber ein Teil des Spiels besteht daraus, Chloes Welt aus ihrem Inneren heraus zu betrachten. Im letzten Spiel haben wir sie durch Max‘ Augen gesehen, also weiß man nicht wirklich, was in ihr vorgeht. Eines der aufregendsten Dinge für mich als Autor war es, Chloe in Before the Storm mehr Tiefe zu verleihen, sodass sie nicht nur ein wütendes Mädchen ist. Klar, von dieser Seite sieht man zu Beginn genug, aber wir verbringen auch Zeit mit ihr, in der wir sehen, dass sie lustig und albern ist – und das volle Spektrum menschlicher Emotionen, die eine Person zu einer Person machen. Im Moment trauert sie um den Verlust ihres Vaters und von Max und wir erforschen diese Trauer. Und das Sonderbare an Trauer ist, dass es dir die Kontrolle über deine Gefühle entzieht. Es wird also sonderbar.”

Nostalgie für Fans

Trotz Bemühungen der EntwicklerInnen, Before the Storm für alle zugänglich zu machen, kann man sich dem Eindruck nicht erwehren, dass vorwiegend Fans des ursprünglichen Spiels begeistert darauf warten. Und auch die zahlreichen Vergleiche und Referenzen zum ersten Teil, die im Laufe unseres Gesprächs auf beiden Seiten fallen, zeigen, wie eng die beiden Spiele im Geiste miteinander verbunden sind.

Wer den ersten Teil gespielt hat, wird im Prequel einige Dinge wiedererkennen, die Serienneulingen nichts sagen. Zak Garriss meint dazu: „Der beste Weg, um Material zu referenzieren, das Fans lieben, sind nicht unbedingt Easter Eggs. Diese sind irgendwie prätentiös; zu viel davon ist nicht gut. Wir haben die Geschichte bewusst nostalgisch gestaltet; wir kehren zu einer Menge bekannter Schauplätze zurück. Auch wenn man sie in einer anderen Zeit, durch Chloes Augen sieht. Aber wir haben uns wirklich bemüht einen Mix aus Orten, die man kennt und welchen die neu sind [zu schaffen]; und Charaktere die man liebt – oder verabscheut – und Charaktere, die man nie zuvor getroffen hat.“

Wenn wir schon beim Thema Nostalgie sind: Auch Max soll in einer Bonusepisode einen letzten Auftritt erhalten. „Darin betrachten wir Max‘ und Chloes Beziehung in einer Zeit vor Before the Storm.“

Max kehrt nur in einer Bonusepisode ein letztes Mal zurück.

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft

Da Max in der Zeit, in der Before the Storm spielt, bereits mit ihrer Familie nach Seattle gezogen ist, bleibt ihre Wiederkehr auf die Bonusepisode beschränkt. Die drei Hauptepisoden werden sich vorwiegend der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Chloe und Rachel Amber widmen. Zu Beginn von Before the Strom ist Chloe Price als einzelgängerischer Rebell und Unruhestifter verschrien, während die hübsche und talentierte Rachel Amber das beliebteste Mädchen der ganzen Schule ist. Wie bringt man diese beiden Charaktere also zusammen? Warum sollte Chloe plötzlich beginnen, Zeit mit Rachel zu verbringen?

„Das war eine der Kernherausforderungen“, bestätigt Garriss, „Zu Beginn hatten wir die Idee, dieses Kapitel in Chloes Leben zu betrachten, in dem etwas so Bedeutendes passierte, dass wir sie im ersten Spiel dabei beobachten, wie sie überall in Blackwell Flyer verteilt, weil dieses Mädchen verschwunden ist. Sie enthüllt nie warum, warum sie so mit Rachel verbunden war und was die Details dieser Verbundenheit waren. Das schien also wie eine großartige Gelegenheit eine Menge Tiefgang und eine treibende Kraft für den Spieler zu schaffen. Aber wir mussten diese Intensität mit einer Menge Chemie zwischen den Charakteren auszeichnen. Es war also eine große Freude, Rachel zusammen zu basteln, sich auszudenken, wie sie eine Art Batman zu Chloes Robin ist, und dabei nur das zu verwenden, was wir vom ersten Spiel hatten.“

Sie liebt mich, sie liebt mich nicht…

Wenn Zak Garriss schon die Chemie zwischen den Charakteren anspricht, möchte ich natürlich wissen, wie weit diese gehen wird. Life is Strange bot stellenweise leicht erkennbaren lesbischen Subtext, blieb jedoch bis zum Schluss doppeldeutig. Wer wollte, konnte sich einreden, dass weder Chloes Beziehung zu Rachel noch Chloes Freundschaft mit Max romantischer Natur waren. Wie weit wird Before the Storm in dieser Hinsicht gehen? – „Ziemlich weit“, lautet die eindeutige Antwort auf diese Frage.

„Das ist auch einer der aufregensten Aspekte des Spiels. Es gibt Leute, die eine bestimmte Meinung darüber haben, welche Beziehung Chloe und Rachel hatten. Meiner Meinung nach definiert es das erste Spiel nicht wirklich, nicht? Es ist sehr suggestiv. Also sehen wir diesen suggestiven Raum als eine Chance, dem Spieler die Möglichkeit zu geben, zu bestimmen, wie weit die Beziehung geht. Ob sie romantisch ist oder nicht. Aber das ist ein Weg, den man beschreitet, nicht eine einzelne Entscheidung, die man trifft. Es ist nicht ‘Oh, wir sind jetzt zusammen’, es ist mehr eine echte Beziehung. Es gibt mehrere Momente, um ihr zu sagen, wie man sich fühlt und abhängig von den getroffenen Entscheidungen, wird Rachel so reagieren, wie man will, oder auch nicht. Aber man kann sehr weit gehen. Das kann ein großer Teil des Spiels sein, aber das muss es nicht.”

Ein bisschen geschummelt

Egal, wie sehr sich Kenner des ersten Teils darauf freuen mögen, endlich die so oft erwähnte Rachel Amber „persönlich” zu treffen, wird die Rückkehr nach Arcadia Bay doch eine bittersüße sein. Schließlich wissen wir genau, wie die Geschichte enden wird. Also interessiert mich zu guter Letzt noch, ob sich der Autor beim Schreiben der Geschichte lieber komplette Freiheit gewünscht hätte, oder ob es diese Einschränkung einfacher macht. „Wir haben ein wenig geschummelt“, schmunzelt er, „weil wir nicht die Geschichte erzählen, die zu Rachels Verschwinden führt. Manchmal kann es aus kreativer Sicht ganz hilfreich sein, die Optionen, die einem zur Verfügung stehen, einzuschränken. Wir können all diese Spannung aufbauen, die nicht unbedingt etwas damit zu tun hat, Rachels Leben zu bedrohen. Also sagen wir ‘Okay, das ist vom Tisch, was können wir sonst machen?’“

– Was die EntwicklerInnen tatsächlich gemacht haben, könnt ihr euch in der bereits veröffentlichten ersten Episode von Life is Strange: Before the Storm anschauen. Die zwei weiteren Episoden sollen je im Abstand von 8-10 Wochen folgen.