No Rest for the Wicked Early Access Review – Einmal Souls-ARPG mit Alles, bitte!

von Max Hohenwarter 29.04.2024

No Rest for the Wicked ist nach den zwei super erfolgreichen Ori-Metroidvanias der erste Gehversuch der österreichischen Entwickler:innen der Moon Studios im Action-RPG-Genre. Warum dieser Sprung ins kalte Wasser kein schmerzhafter Bauchplatscher wurde, klärt mein Early Access Review.

No Rest for the Wicked – darum gehts:

No Rest for the Wicked spielt im Jahr 841. Auf der Isola Sacra bricht nach langer Zeit erneut die sogenannte Große Pestilenz aus. Diese Seuche überdauerte im Bewusstsein der Menschheit nur noch in Schauermärchen. Es wird erzählt, dass Infizierten an den seltsamsten Stellen neue Gliedmaßen wuchsen und sich ihr Innerstes nach Außen stülpte, die Welt sich also über kurz oder lang in einen Cronenberg’schen Bodyhorror-Zoo verwandelte. Außer natürlich dieser Krankheit wird Einhalt geboten.

No Rest for the Wicked First Boss

No Rest for the Wicked – Eine von der großen Pestilenz mutierte Monstrosität

Fuck the (running) system.

Just als der alte König Harold das Zeitliche segnet, übernimmt sein Sohn Magnus das Szepter. Letztgenannter ist nicht nur unerfahren und ungestüm, sondern dafür auch umso beratungsresistenter. Anstatt erneut die Cerim, eine mysteriöse Sekte, deren Mitglieder bereits damals die Große Pestilenz aufhielten, den Karren aus dem Dreck ziehen zu lassen, schickt der frischgebackene König die überambitionierte Inquisitorin des neuen Glaubens, Madrigal Seline in Richtung Sacra. 

Warum? Wahrscheinlich, weil der frischgebackene Monarch der ebenso freshen neuen Staatsreligion gleich Chancen zu ihrem ersten Triumph einräumen will. Garantiert aber mal sowas von garnicht, weil König Magnus ein Auge auf Madrigal Seline geworfen hat. Das weiß die abgebrüht wirkende Schönheit auch sicher kein bisschen für ihre eigene Agenda zu nutzen, zwinker zwonker.

No Rest for the Wicked Madrigal Seline?

No Rest for the Wicked – Was verbirgt die abgebrühte Madrigal Seline?

Eine Bootsfahrt, die wird ruppig

Aus einstweilen nicht näher genannten Gründen hat der Ruf der Cerim gegenüber der Bevölkerung wohl stark gelitten. Bewusst wird uns das, als wir nach einem kurzen Abstecher im überschaubaren Charakter-Editor mitten im Prolog von No Rest for the Wicked landen. Wie erwähnt befindet sich unser:e frisch kreierte:r Cerim an Bord eines Schiffes. 

Die Seeleute lassen uns unmissverständlich spüren, dass wir als Mitglied dieser altgedienten Sekte auf dem Kutter bestenfalls geduldet sind und man uns nur ungern zur Isola Sacra schippert. Trotz der Missgunst, die uns rauer als die unwirtliche Seebrise ins Gesicht schlägt, haben wir so kurz Gelegenheit uns mit der Steuerung und dem Move-Set vertraut zu machen. Es bleibt gar noch Zeit für einen kurzen Kochkurs, doch dazu später noch mehr. Erst einmal machen wirs uns in der Koje für die Nacht gemütlich.

Aber kaum haben wir ein Auge zugemacht, gilt es selbiges auch schon wieder jäh aufzureißen, denn die Rebellengruppe der sogenannten Erwachten hat unsere Mitfahrgelegenheit gekapert und  säbelt und brandschatzt auf dem Kahn herum, dass es nur so eine Freude ist. In all dem Chaos greifen wir uns das nächstbeste Entermesser und versuchen die Angreifer:innen abzuwehren. Dabei erlernen wir praktischerweise auch gleich das präzise und sich dabei doch sehr wuchtig anfühlende Kampfsystem von No Rest for the Wicked in einer wortwörtlichen Feuerprobe. 

No Rest for the Wicked Darak

No Rest for the Wicked – Die Bosse im Spiel sind ganz schöne Brocken

No Rest for the Wicked – Das Kampfsystem:

Bereits in diesen ersten Tutorialkämpfen wird klar: das ARPG der Moon Studios ist trotz isometrischer Perspektive mehr Soulslike als Diablo. Es gilt also die Bewegungs- und Angriffsmuster unserer Gegner:innen zu studieren, Hiebe zu blocken oder zu parieren. Ergeben sich dann Öffnungen in deren Verteidigung, nutzen wir diese aus und lassen so viele Attacken wie möglich auf die Widersacher:innen einprasseln, bevor diese uns parieren, abblocken oder uns die Ausdauer ausgeht und wir den taktischen Rückzug antreten müssen. Zusätzlich füllt sich durch Treffer eine Fokusleiste. Ist diese zur Genüge gefüllt, bietet jede Waffengattung bis zu vier Runen. Diese können wir dann auslösen und ähnllich wie die Skills in Diablo vollführt unser:e Reck:in dann mächtige Manöver.

Bestraf mich! Aber nicht ganz so doll, ja?

Dark Souls-typisch können uns bereits die popligen Tutorialgegner mehrfach auf die Planken schicken. No Rest for the Wicked macht es allerdings dezent anders, als die meisten From Software-Spiele. Der Bildschirmtod portet euch zum letzten Cerim-Flüstern (Das Pendant zu den Lagerfeuern der Souls-Reihe) zurück, jedoch verliert lediglich eure Ausrüstung – ähnlich wie in Blizzards Hack-and-Slay – etwas an Haltbarkeit. Erfahrungspunkte gehen nicht verloren und auch bereits erlegte Monster stehen nicht sofort wieder auf. 

No Rest for the Wicked Cutscene

No Rest for the Wicked – Toll inszenierte Zwischensequenzen

Dies belohnt unseren Mut. Wendet sich das Blatt im Kampf also einmal gegen uns, kämpfen wir bis zum Letzten, wenigstens noch eine:n Widersacher:in mit ins Gras beißen zu lassen, um es nachher leichter zu haben. Besonders mich, der keine sonderlich hohe Frustrationstoleranz besitzt und der Soulslikes aufgrund mangelnden virtuellen Masochismus bisher gemieden hat, freut diese nachgiebigere und weniger harte Lernkurve. Doch nun nochmal kurz zurück auf den gekaperten Kahn. Und zwar wirklich kurz, denn kaum freuen wir uns über die gewonnenen Scharmützel wird unser Kutter von einer riesigen Welle erfasst. Das Schiff zerbirst an den Klippen und wir schlucken eine gehörige Portion Salzwasser.

Ja, Kreuz Teufel Sacrament noch amal!

Glück im Unglück solls ja geben und weil das in gescripteten Sequenzen eher Regel als Ausnahme ist, wird unser:e Cerim nach der Introsequenz passenderweise am Strand der Isola Sacra angespült. Von unserem hübschen Cerim-Umhang aus dem Prolog sind allerdings nur noch durchnässte Lumpen übrig und auch ein Schwert müssen wir erstmal zwischen den angespülten Leichen der Matros:innen wiederfinden. Nahezu nackt, wie die Sturmflut uns schuf, beginnt also unser eigentliches Abenteuer in No Rest for the Wicked.

No Rest for the Wicked

No Rest for the Wicked – Genaue Erkundung lohnt sich fast immer

 

Ohne Mampf kein Kampf

In No Rest for the Wicked ist noch ein zentrales Element anders als in den meisten Soulslikes. Erinnert ihr euch an den vorhin erwähnten Koch-Crashkurs? Der wird jetzt wichtig. Anstatt einem, sich bei jedem Ableben wieder aufladenden Heilmittel, das eine gewisse Anzahl Ladungen hat, müssen wir am Lagerfeuer selbst Proviant zubereiten. Dafür gilt es natürlich im Spielverlauf nach Zutaten und Rezepten Ausschau zu halten.

No Rest for the Wicked – Habts schon Mittagg’essen? Jo? Jo?

Ha… Haaa… BOTW-tschi

So füllt sich ratzfatz nicht nur euer Magen, sondern vor allem auch das Inventar auf euren Erkundungstouren mit diversen Ingredienzien, Craftingmaterialien, Bauplänen und allerlei Krempel. Okay: Timeout! Kochen um Lebensenergie aufzufüllen? (Dauerhaft) kaputtgehende Ausrüstung? Ein mit sämtlichen Dingen, die man irgendwann einmal brauchen könnte, zugemülltes Inventar? Ausdauer, die beim Schwimmen, Rennen und Klettern verbraucht wird? Wer jetzt jetzt an Zelda: Breath of the Wild denkt, irrt garantiert nicht. Generell muss sich No Rest for the Wicked vorwerfen lassen, von sehr vielen erfolgreichen Genres und Spielehits mindestens schwer inspiriert zu sein. Die Moon Studios machen das aber definitiv so gut und vermischen diverseste Konzepte zu ihrem ganz eigenen Baby.

No Rest for the Wicked - Im Inventar ist Ordnung schwierig

No Rest for the Wicked – Im Inventar ist Ordnung schwierig

Ma(h)lerische Spielwelt

Der Art-Style von No Rest for the Wicked hat mir so gut gefallen wie schon lange kein anderes Spiel mehr. Klar haben auch nahezu fotorealistische AAA-Bretter, wie Cyberpunk 2077, die durch immer neue und noch weiter verbesserte Ray-Traycing-Effekte immer realistischer aussehen ihren Reiz. Sie strecken damit den Uncanny Valley-Grafiken der 2010er-Jahre zwei Mittelfinger entgegen. Doch wo derlei Fotorealismen eine unausweichlich gehetzte Flucht in virtuelle Welten erzwingen, verstehen es die malerischen Spielwelten, die die Moon Studios rund um Co-Founder Thomas Mahler bereits seit Ori and the Blind Forest schaffen, ein sanftes Eintauchen in fantastisch-fremde Welten zu ermöglichen.

 No Rest for the Wicked Sacrament at Dawn

No Rest for the Wicked – Die schöne Lichtstimmung am Morgen

Die Texturen in No Rest for the Wicked, die definitiv noch Pinselschwünge und -striche erkennen lassen, sorgen für Charakter und gerade in den gut inszenierten und von großartigen Synchronsprecher:innen vertonten Zwischensequenzen wirkt dieser expressionistisch anmutende Stil Wunder. Die etwas verzerrten Proportionen der einzelnen Figuren ließen bei mir gar ein paar mal Erinnerungen an große Künstler wie Oskar Kokoschka oder Egon Schiele wach werden. So sehr also No Rest for the Wicked spielerisch sich andernorts inspiriert und abkupfert, so einzigartig und ausdrucksstark ist für mich der Grafikstil.

No Rest for the Wicked Rainy Night in the Orban Glades

No Rest for the Wicked – Regendurchpeitschte Nächte in der Wildnis

Wer aber glaubt, dass aufgrund der von mir als derart malerisch beschriebenen Optik keine düstere Stimmung aufkommen kann, der irrt gewaltig. Dafür sorgen besonders die Lichtstimmungen die im Zwielicht des dynamischen Tag-Nacht-Wechsels entstehen oder durch die von Starkregen und Blitzen durchzuckten Stürme des Wettersystems. Gelegentlich sorgt dies auf meinem doch etwas älteren Gaming-PC (i7 Quadcore mit 3,66GHz, 24GB RAM, Geforce GTX 1080) für Framerateeinbrüche, in Summe war aber großteils flüßiges Spielen möglich.

No Rest for the Wicked - Early Access-Testfazit:

No Rest for the Wicked soll das Action-RPG-Genre für immer verändern. Zumindest sind das die Ambitionen, die Thomas Mahler und sein Entwickler:innen-Team für das Spiel haben. Die Moon Studios stecken sich harte Ziele wohl gerne sehr hoch. 

No Rest for the Wicked bietet ein gut funktionierendes, präzises Hybridkampfsystem auf Basis der Souls-Spiele mit in Diablo’esquer isometrischer Perspektive und aus dem selben Hack-and-Slay entlehnten, einstreubaren Spezialattacken. Für das Heil- und Buffsystem sind unter Garantie die letzten beiden Zelda-Spiele Inspiration gewesen – ebenso wie für die auf Erkundung ausgelegte, toll gestaltete und organisch wirkende Spielwelt. Mit ihrem Design-Fokus auf Vertikalität und den Abkürzungen, die sich durch genaueres Erforschen freischalten lassen, hat mich die Isola Sacra wahrlich in ihren Bann gezogen.

Es gibt noch Weiteres, das ich nur kurz erwähnen möchte, wie das durchdachte Itemization- und Crafting-System. Dadurch lässt sich – sofern genug zu RNGeesus gebetet wird – eine stark personalisierte Lieblingswaffe zusammenbasteln. Auch das Bonus/Malus-System verfluchter Ausrüstung lässt frischen Wind beim Gear aufkommen. Oder das Housing, das auch eine nette Nebenbeschäftigung bietet. Man merkt: No Rest for the Wicked macht bereits im jetzigen Early Access Zustand sehr viel richtig.

Natürlich aber nicht alles. Hie und da gibt es schwere Glitches, die einen Neustart von Nöten machen, Crashes kamen in fast jeder Session vor, Das Balancing und der Endgame-Content müssen auch noch ordentlich anziehen, denn wo der Spielstart von No Rest for the Wicked sehr zäh von Statten geht wird es im Midgame mit etwas Grind stellenweise zum Spaziergang, wohingegen dann der Pinnacle Boss und der Cerim Crucible wieder gut anziehen und selbst mit dem derzeitigen Max-Level fast schon zu hart sind.

Was ich mir noch wünschen würde sind vor allem Quality of Life Verbesserungen und Wege, das Grinden nach Zutaten für Heilitems und Buffs im Lategame zu vereinfachen. Ich denke da an eine Erweiterung des Housings um sprichwörtliches Farming oder so. Wichtig wäre auch noch eine Respec-Funktion, um mit einem Char mehrere Builds ausprobieren zu können. Verskillen a là Diablo 2 und damit den Char ruinieren ist so 1999. Dass die Wünsche der Community aber respektiert und auch sehr schnell umgesetzt werden zeigt allein die nahezu tägliche Veröffentlichung neuer Hotfixes und die Roadmap, die bereits jetzt Vorfreude weckt, besonders der angekündigte Multiplayer

Nach knapp 60 Stunden, die ich in den bisher verfügbaren Content in meinem ersten Playthrough des Soulslike-RPGs versenkt habe, kann ich sagen: Das was die Moon Studios mit No Rest for the Wicked bis dato abliefern wird das Action-RPG Genre zwar nicht für immer verändern, aber es ist im besten Sinne ein bildhübsches Best-Of diverser Spielsysteme verschiedenster Genregrößen mit homöopathisch eingestreuten Neuerungen, das sehr viel Spaß macht. Leute, die eine toll gestaltete und herausfordernde Action-RPG-Spielerfahrung suchen, die mehr ist, als die Summe ihrer Teile werden bei No Rest for the Wicked bereits jetzt dutzende Stunden gut unterhalten sein.

Wertung: 9.2 Pixel

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