Matt Kempke (leitender Entwickler von Die Säulen der Erde) im Interview

von Marianne Kräuter 28.12.2017

Auf der gamescom 2017 (ja, lang lang ist’s her) habe ich Matt Kempke, leitenden Entwickler des Interactive Novels Die Säulen der Erde zum Interview getroffen. In einem angenehm ehrlichen Gespräch redeten wir darüber, wie aus einem Weltbestseller überhaupt ein Spiel wird, wie man eine Geschichte aus 1989 in die Gegenwart hebt und welche technischen Tücken einen dabei einholen können.

Achtung, es werden einige Handlungselemente der Romanvorlage verraten!

Vom Buch zum Spiel

Mari: Zuerst einmal, wie schafft man es, aus einem über tausend Seiten starken Buch ein Spiel zu machen? Wie geht man das an?

Matt Kempke: Man macht fast ein Theaterstück. Ich stelle mir das so vor, als ob wir Bühnen hätten. Jemand malt einen Hintergrund auf eine Leinwand und man weiß ungefähr, wie viele man sich davon leisten kann. Und wie viele Charaktere man sich leisten kann. Dann überlegt man sich, was sind die Schlüsselszenen, die in der Geschichte vorkommen, welche Charaktere braucht es und was sind die wichtigsten Orte. Man vermischt das alles miteinander, verlegt ein paar Handlungen an Orte, die im Spiel vorkommen sollen. Damit hat man sozusagen das Rückgrad des Spiels.

Daraufhin versucht man eine – wie wir Autoren sagen – Beat-Struktur zu erzeugen. Die sorgt dafür, dass der Handlungsablauf interessant genug ist, dass man regelmäßig Spannungspunkte hat und dass man [zwischen Szenen] hin und her schneidet.

Ja, und dann muss man “nur” alles nochmal neu schreiben. Wenn du unsere ganzen neuen Dialoge zusammenpacken würdest, hättest du einen 400-Seiten Roman. Das heißt wir haben eigentlich nochmal einen neuen Roman geschrieben, der darauf basiert. Die anderen 600 Seiten finden sozusagen im Kopf des Spielers statt oder über die Dokumente[, die man im Spiel findet], die Hintergründe, die man sieht, oder ambiente Sounds, die man hört.

Mari: Was war denn eigentlich die Kernzielgruppe, die ihr im Auge hattet?

Matt: Das ist ein bisschen Spagat. Einerseits sollen die Leute zufrieden sein, die das Buch gelesen haben und andererseits auch Leute, die interessiert sind an interaktiven Geschichten, auch wenn sie das Buch nicht gelesen haben.Und [wir wollten] dass es eben auch für jüngere Leute ab 16 funktioniert. Bei vielen Leuten ist Ken Follett ein großer Name aber häufig bei Leuten 40 plus. Viele jüngere Leute kennen das gar nicht mehr.

Mari: Ich persönlich habe das Buch gelesen – auch wenn’s schon einige Jahre her ist – und auch die Miniserie dazu gesehen. Man hat dadurch schon eine fixe Vorstellung im Kopf, wie das Ganze aussehen und ablaufen soll. Wie holt man also Leute ab, die das Werk schon kennen?

Matt: Wenn man das will, muss man das auf eine Art und Weise tun, die in sich stimmig ist. Man muss die Charaktere ernst nehmen und nicht einfach nur sagen “Wir machen jetzt `nen Cash-Grab, schreiben irgendwie Ken Follett drauf, viel Sex und Gewalt, und dann wird sich das schon verkaufen.” Sondern uns war wichtig, wenn man diese Charaktere spielt, die man schon aus dem Buch kennt, dass man mehr in deren Köpfe schauen kann. Das heißt die Entscheidungen sind nicht immer “Rette ich A oder rette ich B” in `ner Actionszene, sondern die Entscheidungen sind manchmal ganz intim. Darauf haben wir auch die Handlungsbögen für die Charaktere ein bisschen angepasst.

So zum Beispiel das Hin- und Hergerissen sein zwischen Politik und Glauben [des Mönchs] Philip ist noch wichtiger als im Buch, das wird sich bis zum Finale auch noch extrem steigern, sein Konflikt mit der Kirche. Da haben wir Änderungen gemacht. – Es gibt also Szenen, die es nicht im Buch gibt, die ich unbedingt im Spiel haben wollte.

Herausforderungen des Interactive Storytelling

Mari: Ich habe den ersten der drei Teile ja bereits gespielt. Worauf ich vor allem bei den zukünftigen Teilen gespannt bin, ist, wie sehr man die Geschichte durch seine Entscheidungen verändern kann. Die Geschichte muss ja schließlich ihren Lauf gehen. Es macht z.B. wenig Sinn zu sagen: „Ja, man kann Tom Builder retten“, das wäre dann ja eine völlig andere Geschichte.

Matt: Vielleicht ist das ja eine der Dinge, die möglich sind… Du kannst ja versuchen, das selbst beim Spielen rauszufinden. Das Tom Builder stirbt, ist nicht unbedingt wichtig dafür, damit die Story weitergeht, es ist nur wichtig, dass er deaktiviert wird…

Mari: …Das ist ja für die Entwicklung anderer Charaktere äußerst wichtig…

Matt: …Genauso sagen ja alle immer „Oh es ist für die Story-Motivation von Aliena unglaublich wichtig, dass es die Vergewaltigung gibt“. Das halte ich persönlich für Bullshit, weil das ist so ein Trope aus den 80ern. So wie, James Bond braucht keine Charaktermotivation, die wird ihm erst heute angehängt. Aber wenn’s ein weiblicher James Bond ist, braucht es erstmal eine Vergewaltigung am Anfang.

Mari: Ja, ich finde, es reicht schon als Motivation aus, dass Alienas Vater vor ihren Augen ermordet wird.

Matt: Ja, also, das fällt so ein bisschen in die gleiche Kategorie und deshalb haben wir gleich Ken Follett gesagt bei diesem ersten Meeting, also beim Pitch, es müsse Änderungen geben. Zum Beispiel würde die Vergewaltigung nicht darin vorkommen, weil ich der Überzeugung bin, wenn man so ein komplexes Thema thematisiert, das sollte man nicht so reingemorpht haben, so als Trope.

Mari: Die Altersbeschränkung des Spiels ist ab 16 – Von dem her, wäre es also theoretisch möglich gewesen.

Matt: Ja, das wäre möglich gewesen. –

Es war also wichtig herauszufinden, was die Motivationen [der Charaktere] sind. Genau so wichtig war es, die Motiviation zu finden – die Szene kennst du wahrscheinlich noch aus dem Buch – als sich Aliena von Jack trennen muss. Da war mir ganz wichtig, dass man diese Szene aus Alienas Perspektive spielt, dass man selbst zu Jack gehen und mit ihm reden muss. Nicht, dir Optionen zu geben, es nicht zu tun, sondern dir verschiedene Optionen zu geben, wie man’s macht. Das ist auch einer von den Punkten, wo man nicht über Leben und Tod entscheidet oder neue Handlungsstränge erzeugt, sondern an dem Interactive Storytelling das machen kann, was es am besten tut: Einen emotional involvieren.

Technische Tücken

Mari: Nochmal kurz zum Entwicklungsprozess: Die Autoren entwickeln die Handlung, schreiben sie nieder und dann werden die Dialoge vertont. Habt ihr die Tonaufnahmen eigentlich nach dem Abmischen nochmal gehört?

Matt: Ja.

Mari: Okay, mein größter Kritikpunkt am ersten Teil ist nämlich, dass er von den Dialogen her sehr behäbig wirkt. Da wollten sich Charaktere sichtbar gegenseitig ins Wort fallen, aber es liegen große Sprechpausen dazwischen. – Ist euch das aufgefallen?

Matt: Das ist ein technisches Problem, worüber wir auch nicht froh sind. Das hat mit unserer Animationsengine zu tun. Das ist dieselbe Engine, die wir früher auch hatten. Die ist schon besser geworden. Nur jetzt fällt es eben mehr auf, weil die Gespräche dramatischer sind. Ich hoffe mal, dass es bei den nächsten Titeln immer besser wird. Aber das ist auch was, wo ich dann als Autor ein bisschen zähneknirschend dasitze und denke, das ist noch ein bisschen plump.

Deshalb sind interaktive Geschichten noch nicht auf dem selben Level wie TV, weil man noch technisch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat und versucht diese natürliche Stimmung und das echte Leben wieder herzustellen. Und das ist noch viel schwieriger wenn man Animation und Sound und Interaktivität zusammenbringt. – Bin ich genau deiner Meinung.

Ich danke Matt Kempke für das Gespräch! – Wenn ihr mehr zu Daedalics Die Säulen der Erde wissen wollt, findet ihr hier meinen Testbericht zu Teil 1.