Marco Polo – Die komplette erste Staffel (Blu-ray) im Test

von Matthias Jamnig 19.01.2016

Den Namen Marco Polo verbinden die meisten Menschen heutzutage wohl vor allem mit Reiseführern in Buchform. Doch dank Netflix erfahren wir in der gleichnamigen Serie mehr über den venizianischen Händler und seine legendäre China-Reise.

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Marco Polo ist einer jener Namen, die uns allen bekannt sind, aber zu denen wir ad hoc meist nicht mehr als ein, zwei Schlagwörter parat haben. Der weitgereiste Südeuropäer hat es dennoch irgendwie geschafft, sich einen Platz in unseren Köpfen zu sichern. Kreuzfahrtschiffe, Raumsonden, Kinderspiele und sogar ein Mondkrater sind im Laufe der Jahrhunderte nach Marco Polo benannt worden. Und 1938 fand er in Die Abenteuer des Marco Polo schließlich auch erstmals den Weg auf die große Leinwand – es folgten bis zuletzt 2007 eine Handvoll filmischer Adaptionen seines Werdegangs.

Der historische Marco Polo

Die historische Figur Marco Polo lebte in der Zeit des späten 13., frühen 14. Jahrhunderts. Als Sohn eines Juwelenhändlers aus Venedig führte den bei Aufbruch 17-Jährigen eine Handelsreise seines Vaters über Umwege in den Fernen Osten. Ganze vier Jahren nachdem sie Italien hinter sich gelassen hatten, hieß sie schließlich der mongolische Herrscher Kublai Khan in seiner Sommerresidenz Shangdu willkommen. Das Reich der Goldenen Horde erstreckte sich damals von China bis in das Gebiet des heutigen Irak und im Norden bis nach Russland. Für die nächsten 16 Jahre sollte der Hof des Khans eine Heimat für Vater und Sohn sein.

Dramaturgische Adaption

Und hier hakt nach einem kurzen Prolog die erste Staffel der Netflix-Serie ein. Natürlich wurde die ohnehin nicht ganz unumstrittene Geschichte aus der Feder Marco Polos für die Ansprüche des modernen TV-Publikums adaptiert. Der junge Venizianer bleibt demnach nicht aus freien Stücken am Hof des Khans sondern mehr oder weniger als Geisel, während sein Vater dessen Handelsreise fortsetzt. Kublai findet dann aber Gefallen am wachen Geist und den blumigen Reiseberichten Polos. Er schickt ihn auf eine Reise durch große Teile seines Reiches und lauscht im Anschluss seinen Erzählungen. Marco Polo legt nach und nach die Rolle des verbitterten Gefangenen ab, lässt sich von der Faszination des Mongolenlebens beeindrucken und wird zu einem der Ratgeber des Khans. Doch wie könnte es anders sein – es kommt am Ende doch (mehrmals) anders, als der heranwachsende Europäer erwartet hätte beziehungsweise seine Original-Schriften vermuten ließen….

Zur Entfaltung des inhaltlichen Potentials muss man Marco Polo zwar zwei bis drei Folgen Zeit geben, aber dann spinnen sich die verschiedenen Handelsstränge zu einem dichten Netz, dass die geneigte ZuseherInnenschaft einzufangen versteht. Zwischen Dramatik, Action und Landschaftspanoramen entwickelt sich eine vielschichtige Erzählung, die der/dem ZuseherIn nicht jede ihrer Dimensionen direkt auf die Nase bindet. Latent schwingen stets interkulturelle Differenzen, Generationenkonflikte und Geschlechterkämpfe im Ablauf der wechselnden Handlungsstränge mit, während der Eroberungszug der Mongolen – mit all seinen Erfolgen und Rückschlägen – den alles überspannenden, erzählerischen Bogen für die erste Staffel bildet. Wie bereits eingangs kurz angeschnitten, darf sich die/der Zuseherin aber kein in allen Aspekten historisch korrektes Dokutainment erwarten. Natürlich orientiert sich die Serie an den Reiseberichten Marco Polos, doch ergibt spannend Geschriebenes nicht zwingend ebenso gutes Fernsehen. Dementsprechend wurden die Erlebnisse des Venezianers bestmöglich adaptiert, um auch jenen, die mit dem Stoff vertraut sind, noch die ein oder andere Überraschung kredenzen zu können.

Die Serie

Marco Polo feierte auf Netflix am 12. Dezember 2014 seine Premiere und umfasst in der ersten Staffel zehn Folgen. Drehorte für das historische Setting waren unter anderem Italien, Kasachstan und die Pinewood Studio im malaysischen Johor Bahru. Das Budget umfasst neun Millionen US-Dollar pro Folge. Wie so oft folgten auf die Erstausstrahlung zwiespältige Kritiken: Von den einen hochgelobt, fanden andere harsche Worte für die Abweichung von den historischen Tatsachen und die aufgrund der bekannten Geschichte vorhersehbare Handlung. Meines Erachtens greift diese Kritik aber – wie bereits mehrfach erwähnt – etwas kurz. Marco Polo erhebt nicht den Anspruch eine minutiös der historischen Vorlage folgende TV-Biografie zu sein. Die Serie baut vielmehr ein mit Feenstaub angereichertes Erzähl-Gebilde in der Tradition eines Karl May auf dem Fundament der Polo’schen Reiseberichte und unter Anlehnung an historische Rahmenbedingungen. Man könnte demnach versucht sein, Marco Polo als historischen Roman in Serienformat zu bezeichnen – Fiktion folgerichtig inklusive.

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Die Box

Die Blu-ray-Box mit der kompletten ersten Staffel präsentiert sich klassisch auf zwei Hüllen und drei Discs aufgeteilt im robusten Kartonschuber. Haptisch sowie optisch keine Offenbarung aber dennoch wertiger als so manch andere Serien-Publikation. Ebenfalls grundsolide gestaltet sich die Auswahl des Bonusmaterials mit Deleted Scenes, Bloopers, einer Dokumentation, Trailern und vielem mehr. Ein wenig Jammern auf hohem Niveau darf aber trotzdem sein: Die Krönung wäre noch der sehr schön komponierte Soundtrack als Draufgabe gewesen und leider ebenfalls nicht Teil des Bonusmaterials ist das Serienspecial One Hundred Eyes, das Ende Dezember auf Netflix ausgestrahlt wurde. Es beleuchtet den Werdegang des blinden Mönchs, der einen der interessantesten Charaktere der Serie darstellt. Wer die Möglichkeit hat, sollte sich den Kurzfilm in jedem Fall ansehen – spätestens als Einstimmung auf die zweite Staffel, die im Juni dieses Jahres auf Netflix ausgestrahlt wird.

Im Sprachen-Menü gibt es darüber hinaus lediglich die Auswahl zwischen dem englischen Original und der deutschen Synchronisierung sowie eine Untertitel-Optionen für Deutsch. Wobei ich euch, wie bei jeder Serie und jedem Film, die Originalfassung wärmsten ans Herz legen möchte. Trotz des fernöstlichen Akzents mancher Darsteller und der italienischen Sprachfärbung des Protagonisten ist das gesprochene English bestens zu verstehen.

Fazit

Zugegeben, ich war am Anfang durchaus skeptisch. Meine Ersteindruck urteilte Marco Polo noch vor der ersten Folge als überproduziertes Historiendrama im Fahrwasser von Game of Thrones ab. Es bedurfte zumindest der ersten drei Folgen, um meine Skepsis verfliegen zu lassen. Hat man sich erst von der zwanghaften Suche nach historischen Unkorrektheiten verabschiedet, die den Seriengenuss unnötigerweise trübt, und akzeptiert, dass es sich um ein dramaturgisch adaptiertes und mit Fiktion angereichertes Kostümspektakel Karl-May’scher Dimension handelt. Dann bleibt am Ende nur die Vorfreude auf die zweite Staffel und das Wissen, eine Serie im Regal stehen zu haben, die man sich auch ein zweites oder gar drittes Mal ohne Reue zu Gemüte führen kann. Im Grunde folgt Netflix nur dem Rat Marco Polos selbst, der auf dem Sterbebett im Jahre 1324 folgende Worte gefunden haben soll: “Ich habe nicht die Hälfte von dem erzählt, was ich gesehen habe, weil keiner mir geglaubt hätte.” Mit einem Augenzwinkern bin ich versucht zu sagen, dass Marco Polo eben die ganze Geschichte erzählt – auch die Dinge, die Zeitgenossen Polos nicht geglaubt hätten.

Wertung: 8.5 Pixel

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