Leben, lieben, brandschatzen oder Vikings Staffel 1 (DVD) im Test

von Matthias Jamnig 21.08.2014

Angelehnt an das Leben des legendären skandinavischen Helden Ragnar Lothbrok (oder auch Lodbrok) erzählt Vikings – wie schon der Name verrät – eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten, da die Wikinger als Geißel Englands und Frankreichs marodierend durch die mittelalterlichen Lande zogen. Welche Qualitäten die erste Staffel des Nordmänner-Epos in der DVD-Version auszeichnen, versucht die folgende Rezension zu erörtern.

Der Alltag der Protagonisten scheint einer einfachen Prämisse zu folgen: leben, lieben, brandschatzen. Doch kratzt man auch nur etwas an dieser offenkundig simplen Oberfläche, eröffnen sich den geneigten ZuseherInnen ungeahnte, inhaltliche Tiefen, vor denen selbst Serienprimus Games of Thrones nur respektvoll das Haupt beugen kann. Den fünf meiner Meinung nach prägendsten Dimensionen will ich mich im Folgenden widmen, bevor auch die Besonderheiten der DVD-Ausgabe Erläuterung finden.

Macht

Wie auch in zahlreichen anderen TV-Formaten, die eine historische Grundlage erkennen lassen oder sich der High-Fantasy verschrieben sehen, spielt das Streben der Protagonisten nach Macht eine zentrale Rolle in Vikings. Dass es dabei aber nicht immer um einen Thron gehen muss, zeigen bereits die ersten Episoden der Serie in einer anregenden Vielschichtigkeit. Natürlich gibt es da die Politik mit ihren Titeln, Ländereien und Zwistigkeiten. Doch darüber hinaus greift auch das Streben nach Macht über Religion, über Zukunft, über Andere abseits der klassischen Hierarchien Raum – um nur einige Aspekte zu nennen.

Dabei stehen aber nicht große Heerscharen, übermächtige Potentaten oder undurchschaubare Magier im Fokus der Machtdimension. Denn es sind einzelne Charaktere von oftmals schlichtem Gemüt, die getrieben von Neugier und einer tief verwurzelten Überzeugung, das Richtige zu tun, in Vikings die Geschicke der beteiligten Gruppierungen lenken. In diesem vermeintlich durchschaubaren Gefüge von aufsteigenden und fallenden Machtmenschen nimmt die Geschichte jedoch oftmals überraschende Wendungen. Denn wenn Einzelne Entscheidungen treffen, reicht oft ein Blutstropfen am falschen Axtblatt, um wohlüberlegte Strategie in walwütige Raserei zu verwandeln.

Adel vs. Freie

Doch wo es Macht gibt, dort finden sich auch Disparitäten. So stehen sich beispielsweise mit den Nordmännern und dem umstrittenen Plünderungsziel England zwei Herrschaftsmodelle gegenüber, die im Mikrokosmos kleiner geografischer Einheiten beschrieben werden. Und auch wenn auf den ersten Blick die Unterschiede überwiegen, so bleibt dennoch der ewig intrigante Streit zwischen verschiedenen Parteien als Konfliktkonstante.

Während auf der Wikingerseite vorerst die Quasi-Rebellion des Freien Ragnar gegen das regionale Oberhaupt das zentrale Element darstellt, so nähern sich die Nordmänner doch sehr rasch an die später am Horizont auftauchenden Engländer an. Deren Intrigenspiel ist bereits auf überregionaler Ebene zwischen Adeligen angekommen, da sich die BürgerInnen mit ihrer Rolle in der gottgegebenen Ordnung abgefunden haben. In der Folge mischen sich auch im mittelalterlichen Skandinavien weitere Machtparteien in die Geschehnisse ein. Und während die einen versuchen, den Status quo zu erhalten, streben einige ambitionierten Plünderer nach Größerem – eine Spannung, die sich auch in der heutigen Politik wiederfinden lässt.

Kampf

Doch anders als heute diente in der natürlich historisch weniger korrekten Serienvergangenheit vorrangig Gewalt als Problemlöser erster Wahl. Und so rufen die nordischen Helden mehr als einmal nach dem schlachterprobten Schildwall. Verhandeln lässt sich mit einem geprügelten Feind immer noch am besten – Captain James T. Kirk hätte wahrlich seine Freude mit den streitlustigen Wikingern. Es stehen sich jedoch selten unüberschaubare Armeen gegenüber, sondern meist findet sich nur eine Handvoll tapferer Recken auf offenem Felde ein. Das mag vielleicht wenig episch erscheinen, wirkt dafür aber umso intensiver.

Mit der schicksalsergebenen Überzeugung, das Leben liege in der Hand der drei Nornen und dessen Ende sei vorherbestimmt, stürzen sich die Wikinger mit rücksichtsloser Wildheit in jedes Scharmützel, jede Schlacht. Die Gratwanderung zwischen Gewaltverherrlichung und Verstörung aufgrund des Blutvergießens erweist sich in Vikings als eine gekonnte. Nach jedem brutal inszenierten Blutrausch bleibt ein klammes Gefühl.

Vikings Staffel 1 Floki

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Religion

Doch nochmals zurück zu den Nornen. Diese drei Damen sind bekanntlich Teil der nordischen Mythologie, die in Vikings natürlich ebenfalls eine bedeutende Rolle einnimmt. Zum einen als Gegenpart zum raumgreifenden Christentum, zum anderen als zentrales Element der skandinavischen Lebenswelt der damaligen Zeit. Kaum eine Entscheidung wird getroffen, ohne den hiesigen Seher oder direkt die Götter und Göttinnen zu befragen. Dunkle Riten, rätselhafte Orakel und ein Vielgötter-Pantheon prägen die Glaubenswelt der Wikinger.

Mit den Plünderfahrten Richtung Westen trifft diese archaische Religion auf das formalisierte Christentum. Das von den Nordmännern als schwach abgelehnt wird, während die Christen den Glauben der Wikinger als barbarisches Heidentum gering schätzen. Um beim Terminus der Dimension zu bleiben: Die Religionsdimension in Vikings liefert eine der reichhaltigsten Ambivalenzen der Serie, da sie den klassischen Alt/Neu-Gegensatz am ansehnlichsten abbildet – ohne dabei eine Gut/Böse-Kategorisierung vorzunehmen.

Liebe

Neben Blut und Göttern spielt aber auch die Liebe eine Rolle, kommen ohne einen Hauch von Romantik doch die wenigsten TV-Formate aus. Schildmaiden, Prinzessinnen und Burgfräulein buhlen um die Herzen der männlichen Seefahrer, Krieger und Könige – und umgekehrt. Da aber nicht nur die romantische Liebe hierbei eine Rolle spielt, schließt sich an dieser Stelle der Kreis zur ersten Dimension: der Macht. Denn dass die richtige Verbindung von Mann und Frau die eigene Stellung positiv beeinflussen kann, wussten nicht nur die Habsburger. Ein vermeintlich perfektes Paar kann nur allzu schnell an dieser Tatsache zerbrechen.

Extras und ein Soundtrack zum Niederknien

Nachdem sich der Kreis der Dimensionen nun geschlossen hat und der vorangegangene Text sich bis dato doch eher auf einer Meta-Ebene bewegt hat, wird es wie eingangs versprochen im Folgenden ein wenig konkreter. Da wären die Extras der DVD-Fassung: Audiokommentare, entfallene Szenen, ein Blick hinter die Kulissen und zwei kleine Dokumentationen ergänzen die komplette erste Staffel – eine sehr schöne Sammlung an Bonusmaterial. Primäre Kaufanreize bleiben aber die Qualitäten der Serie selbst und der epochale Soundtrack. Dieser steht bei mir bereits in der CD-Version im Regal und bedürfte im Grunde einer eigenen Review. Hier sei nur gesagt, die musikalische Untermalung von Vikings ist großartig. Punkt.

Fazit

Bevor ich zu einem abschließenden Urteil gelange, möchte ich euch, werte LeserInnen, die Empfehlung mit auf den Weg geben, diese Serie (oder eigentlich alle englischsprachigen Serien) im Originalton zu genießen. Zwar ist die deutsche Synchronisation in diesem Fall durchaus gelungen, einige sprachliche Feinheiten gehen jedoch immer verloren.

Nachdem ich mich im Text bisher mit meiner Meinung eher zurückgehalten habe, um mich ausgiebig einer Auswahl an Aspekten zu widmen, folgt in diesem letzten Absatz sozusagen ein abschließendes Meinungsdestillat: Vikings verliert sich trotz der mehrmals erwähnten Vielschichtigkeit nie in komplexen Strukturen, sondern bleibt einer stringenten, oft brutal unkomplizierten Erzählform treu. Diese unterstreicht das Geschehen am Bildschirm in seiner ungeschönten Schlichtheit. Dadurch entsteht eine archaische Ästhetik, die die ZuseherInnen fesselt und die darunterliegenden inhaltlichen Dimensionen zwischen den Zeilen stehen lässt. Ein Hauch von geistigem Engagement enthüllt spätestens beim zweiten Durchlauf jedoch die volle Pracht der vielen zum Teil unterschwelligen Konflikte.

Eines darf man dabei aber nicht außer Acht lassen: Vikings ist eine Geschichte, nicht Geschichte per se. Historisch dürfen die ZuseherInnen das Gesehene nicht in die Waagschale werfen, sie sollten sich hingegen an der historisch inspirierten Fiktion erfreuen. Beherzigt ihr dies, offenbart sich mit Vikings ein Seriengenuss allererster Güte, den ich ohne Einschränkungen und von ganzem Herzen weiterempfehlen kann. In diesem Sinne: Mögen milde Mächte euch helfen, Frigg und Freyja und viele der Götter und Göttinnen.

PS: Ich danke euch, falls ihr den etwas lang geratenen Text tatsächlich bis hierher gelesen habt.

Wertung: 9 Pixel

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