The Medium – ein Surrealer Nostalgie-Trip im Test

von postbrawler 06.02.2021

Kennt ihr noch die Alone in the Dark Trilogie? Damit meine ich nicht die verhunzten Action-Reboots der 2000er Jahre, sondern die originale Survival-Horror-Trilogie aus dem Hause Infogrames. Diese erschien in den Jahren 1992 – 1994, und begründete maßgeblich jenes Genre, dem Resident Evil vier Jahre später zum Durchbruch verhelfen sollte. Ein solches Spiel ist The Medium. Ein Survival-Horror Adventure vom alten Schrot, nicht eines dieser auf Action und Kurzweil getrimmten Horror-Mutationen. Ob das neueste Werk von Bloober-Games für Xbox-Konsolen und PC diesem Erbe gerecht wird, lest ihr in meinem Review.

© Bloober Team

  • Studio: Bloober Team
  • Erstveröffentlichung: 28. Januar 2021
  • Plattformen: Windows, Xbox Series X|S
  • Spiel-Engine: Unreal Engine 4
  • Genre: Survival Horror

Handlung

Die Alone in the Dark Trilogie war das erste PC-Spiel, dass ich mir von meinem eigenen Taschengeld gekauft hatte. Schauerliche Nächte durchlebte ich aus der Perspektive des Detektivs Edward Carnby in verwunschenen Herrenhäusern und modrigen Kellergewölben. Lose auf H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos basierend, bekam ich es darin mit den unaussprechlichen Kreaturen des Wahnsinns zu tun, und musste mysteriöse Morde in fantasievollen, schaurig schönen Albtraum-Kulissen lösen.

Vor eine ähnliche Herausforderung stellt euch The Medium. Die Hauptfigur Marianna ist ebenfalls so eine Art Detektivin des Übernatürlichen. Sie erhält von einem mysteriösen Anrufer den Auftrag einen Kindsmord in einem verlassenen Wellness-Hotel am Stadtrand Krakaus aufzuklären. Auf Krawall gebürstete Zeitgenossinnen, die nun gleich mal zum nächsten Waffenschrank schreiten, um sich bis auf die Zähne mit Waffen und Munition einzudecken, sind hier schief gewickelt. Als Medium kann Marianna lediglich auf ihren Scharfsinn und ihre übernatürliche Gabe zurückgreifen. Diese erlaubt es ihr die stoffliche Welt für einen kurzen Zeitraum zu verlassen, um in die Parallelwelt der Seelen abzutauchen. Hier trifft Sie auf gequälte Geister wie das Grusel-Mädchen „Sadness“, die am Weg ins Jenseits in dieser Zwischenwelt stecken geblieben ist.

Diese „Spirit-Realm“ genannte Paralleldimension ist der heimliche Star des Spiels. Sie ist ein visueller Brückenschlag aus der Hölle und dem, was Bilbo sieht, wenn er den einen Ring trägt, abgeschmeckt mit einer Brise H.R. Giger. Mariannas Manifestation in dieser Dimension bewegt sich synchron mit ihrem leibhaftigen Selbst, was einige spannende Knobelpassagen im Spiel ermöglicht.

Gameplay

© Bloober Team

Was The Medium zu einem echten Next-Gen Titel macht, ist der Umstand, dass an bestimmten Stellen im Spiel zwei gleichzeitige Ansichten mittels Split-Screen dargestellt werden. Das hätte auf älteren Konsolen schlichtweg zu viel Arbeitsspeicher und Rechenpower gekostet, weswegen The Medium exklusiv für die Next-Gen Versionen (Series X|S) der Xbox, sowie moderne PCs erscheint.

Der Clou dabei ist, dass manche Passagen in der Geisterwelt durch Fleisch-Pforten, Tentakel oder Ähnliches versperrt sind, was die Protagonistin auch in der echten Welt am Vorankommen hindert. Umgekehrt gibt es im Niwa-Ressort verriegelte Türen, intakte Wände und andere Hindernisse, die wiederum im Spirit-Realm frei passierbar sind. Der geschickte Wechsel, sowie das Lösen von Rätseln in beiden Dimensionen ist der Schlüssel zum Ziel. In feinster Survival Horror-Manier verschafft ihr euch so Zutritt zu neuen Bereichen, findet wichtige Hinweise, und kombiniert euch euren Weg durch das Anwesen. Während Marianna in der echten Welt völlig unbewaffnet und schutzlos agiert, stehen ihr in der Geisterwelt gewisse Fähigkeiten wie ein Energiestoß und eine Schutzblase zur Verfügung.

Klassisches Shooter-Gameplay wie in Resident Evil sucht man in The Medium vergebens, die wenigen wirklichen „Gegner“, mit denen wir es zu tun bekommen werden in Schleich- und Rennpassagen überwunden. An der Spannung im Spiel ändert dieser Umstand wenig – ganz im Gegenteil: Die ständige Horror-Musik, die klaustrophobische Einsamkeit und die verstörende Präsenz der Geisterwelt garantieren hundertprozentiges Gänsehaut-Feeling.

Präsentation

Optisch hinterlässt The Medium bei mir gemischte Gefühle. Das Niva Ressort in seiner Obstblock-Ästhetik lässt weder Urlaubsstimmung noch Netzhaut-Flimmern aufkeimen. Die Grafik ist zweckmäßig schlicht gehalten. Hie und da durchbrechen dank Ray-Tracing perfekt reflektierende Pfützen oder schöne Beleuchtungs-Effekte die in Beton gegossene Tristesse. Ganz anders das Spirit-Realm: Wabernde Tentakel, blutbefleckte Wände und sich in Abscheu windende Körperteile spicken eine in Rot-Braun getunkte Höllenkulisse mit Detailreichtum und ekelhaftem Surrealismus. Die Charakter-Modelle, allen voran die Hauptfigur des Spiels, wirken darin fast wie Fremdkörper. Selbst die vorletzte Konsolengeneration vermochte leb- und glaubhaftere Modelle darzustellen als diese steif animierten Polygon-Gebilde. Sosehr auch dieser Aspekt eine Hommage an Alone in the Dark (1992) sein könnte – hier wäre deutlich mehr Potenzial vorhanden gewesen.

Für moderne Third-Person-Spiele unüblich folgt die Kamera nicht eurer Hauptfigur, sondern wechselt zwischen Perspektiven statischer Kamerapositionen hin- und her. Das ist Anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, da sich mit dem Perspektivenwechsel auch die Steuerung ändert, versprüht aber gekonnt den Charme früherer Survival Horror-Titel. Das Niva Ressort besteht nicht aus vorgerenderten Bildschirmen, sondern wird in Echtzeit 3D-Grafik berechnet, was hübsche Kameraschwenks und -fahrten, sowie eine beeindruckende Licht- und Schattenstimmung ermöglicht. Untermalt wird das Ganze von einer schaurig schönen Klang-Kulisse, die am besten mit Kopfhörern genossen werden sollte.

Fazit zu The Medium

Bis ich The Medium gespielt habe wusste ich gar nicht, wie sehr ich diesen untrennbaren Teil meiner Jugenderinnerungen vermisst hatte. Ich fühlte mich sofort in eine Zeit zurückversetzt, als ich im halb verdunkelten Kinderzimmer vor meinem 486er kauerte, und nach jedem Szenenwechsel einen kleinen Herzstillstand antizipierte. The Medium schafft es gekonnt, dieses Spielgefühl in ein modernes Gewand zu verpacken, wenngleich „modern“ in Relation zum beschränkten Budget eines kleinen Entwicklungsstudios gesetzt werden muss. Was die Grafik und Gameplay nicht immer schaffen, machen eine spannende Handlung und die gruselige Stimmung wieder wett. So wird The Medium zu einem unterhaltsamen und fesselnden Gesamterlebnis, das gekonnt mit den Tropen alter Survival-Horror-Spiele spielt, und modernen Genrevertretern den Spiegel vorhält. The Medium ist damit sicher nicht jedermanns und -Frau’s Sache, aber dennoch ein gelungener Auftakt für ein originelles Konsolen-Exklusive der nächsten Generation.

Wertung: 7.5 Pixel

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