Michael Kohlhaas (Blu-ray) im Test

von Natalie Lamprecht 30.06.2014

Wenn einer redlichen Person eine Ungerechtigkeit widerfährt und diese juridisch nicht geahndet wird, darf sich diese Person dann selbst Recht verschaffen? Eben dieser Frage hat sich Heinrich von Kleist unter Bezugnahme auf eine historische Begebenheit in seiner im 16. Jahrhundert in Brandenburg und Sachsen stattfindenden Erzählung Michael Kohlhaas gewidmet: Der namensgebende Protagonist, dem durch herrscherlichen Nepotismus Gerechtigkeit mehrfach verwehrt wird, greift aus Verzweiflung und Wut darüber zu den Waffen, nimmt sich damit das Recht auf Résistance, das sich außerhalb der Grenzen der Jurisdiktion bewegt – und wird damit selbst zum Täter. Wie so oft in seinen Werken verhandelt Kleist damit eine fundamentale Frage des Menschseins: hier, ob Selbstjustiz unter gewissen Umständen wenn schon nicht rechtens, dann zumindest verzeihlich sein kann. Nicht umsonst steht das Werk auf vielen Leselisten in (Hoch-)Schulen, nicht umsonst wurde der Stoff schon etliche Male bearbeitet – die literarischen Adaptionen und Interpretationen sind Legion, auch wurde die Erzählung einige Male verfilmt. Eine der neueren Verfilmungen des Stoffs ist die 2013 im Wettbewerb von Cannes gelaufene, schlicht Michael Kohlhaas genannte des französischen Regisseurs Arnaud des Pallières. Er verlegt die Handlung in die karge Region der Cevennen und lässt den dänischen Schauspieler Mads Mikkelsen vor dieser Landschaft einen stoischen Kohlhaas mimen, der um der Gerechtigkeit willen die Ungerechtigkeit nicht scheut.

Kohlhaas_CoverFacts

  • Genre: Literaturverfilmung, Drama
  • Publisher: Polyband
  • Regie: Arnaud des Pallières
  • Releasetermin: 28. März 2014

„Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein Mensch“

Der Rosshändler Michael Kohlhaas, ein rechtschaffener Mann, der es durch seinen Fleiß und sein Können zu Wohlstand und Ansehen gebracht hat, widerfährt auf dem Weg zum Markt eine Ungerechtigkeit: Der Verwalter eines jungen Barons verlangt von ihm – wie sich später herausstellen soll, ohne rechtliche Grundlage – einen Passierschein, um seine Reise fortsetzen zu dürfen. In Ermangelung dessen überlässt Kohlhaas dem Baron zwei seiner schönsten Rappen, die er bei seiner Rückkehr wieder zu holen gedenkt, und einen Knecht, der sich um die Tiere kümmern soll. Als der Rosshändler schließlich wiederkehrt und seinen Pfand zurückverlangt, muss er feststellen, dass nicht nur die Rappen, zerschunden von Feldarbeit und abgemagert, ihren Wert verloren haben, sondern auch, dass sein Knecht misshandelt und vom Hof des Barons verjagt wurde, da er die schlechte Behandlung der Tiere monierte. Kohlhaas verlangt vom Baron, die Tiere in einem angemessenen Zustand wieder zurückzugeben, wird von diesem jedoch abgekanzelt.

Verärgert über diese Obrigkeitswillkür reicht der Rosshändler wiederholt Klage gegen den Baron ein – vergebens, hat dieser doch Verwandte am Gericht, die diese Klagen für ihn abwenden. Kohlhaasʼ Frau, Judith, erkennt, dass ihr Mann sich immer mehr auf die Durchsetzung seines Rechts versteift, und schlägt vor, selbst bei der höchsten rechtlichen Instanz, der Prinzessin, vorstellig zu werden und für ihren Gatten Gerechtigkeit zu erbitten. Doch sie kehrt schwer verletzt und ohne etwas ausgerichtet zu haben von diesem Palastbesuch zurück – und stirbt schließlich in den Armen des verzweifelten Kohlhaasʼ. Der Rosshändler, der bis auf seine Tochter, Lisbeth, und seine Ehre nichts mehr zu verlieren hat, versammelt daraufhin eine Gruppe an gewaltbereiten Männern unter sich und fordert sie auf, mit ihm gemeinsam die Waffen gegen die ungerechten und selbstgefälligen Herrscher zu ergreifen. Der Rosshändler wird sich so seinen Weg zur Gerechtigkeit zwar tatsächlich erstreiten – wegen der von ihm eingesetzten gewaltsamen Mittel, die scheinbar jeder Verhältnismäßigkeit entbehren, dafür jedoch letztendlich einen hohen Preis bezahlen.

Minimalismus bis zur Simplifizierung?

Das hätte so gut werden können: eine karstige Landschaft in Frankreich, ein schöner, ernster Hauptdarsteller, eine Destillation der Erzählung Kleists, die uns zu ihrem Kern bringt – und dennoch, irgendwie springt der Funke aus des Pallières Michael Kohlhaas nicht über. Das ist einerseits der Sprödheit der Inszenierung geschuldet, andererseits der zu starken Reduktion der Geschichte um den Kohlhaas bis auf ihr Grundgerüst. Dabei hat der Film auch einiges zu bieten: Es gibt zahlreiche beeindruckende Bilder (16:9 – 2,35:1) der „archaischsten Landschaft mit den schwer zugänglichen Motiven“, wie es im Booklet zu des Pallières Werk heißt, die wunderbar mit dem unbequemen und wortkargen Kohlhaas korrespondieren. Wenn die Kamera auf Mikkelsen gerichtet bleibt, wie er mit unbewegter Mine, Schwert auf dem Rücken und Wind im Haar auf dem Pferd sitzend „seine“ Männer beim Brandschatzen und Morden beobachtet – der einzige Ton hierbei ist das Pfeifen des über die schroffen Felsen peitschenden Windes –, möchte man Jeanne Lapoirie, die mit ihrer Kameraführung eben dieses Bild einfing, sofort Reverenz erweisen. Auch die Vertonung (Tonformat: DTS-HD 5.1, französischer Originalton, deutsche Synchronisation sowie deutsche und englische Untertitel) erweist sich meines Erachtens als gelungen, denn auch sie ist, ganz wie das Bild, reduziert gehalten, nur selten kommen Instrumente zum Einsatz: Meist wird das Gezeigte schlicht durch Geräusche unterstrichen, was so manche Szenen an die Grenze des Erträglichen treibt. Als Kohlhaas mit seinen Mitstreitern in den Hof des Barons einfällt und ein Baby minutenlang kreischt, als Judith mit dem Tod ringt und nur ihr Keuchen zu hören ist – all das macht die Bilder noch intensiver, noch direkter.

Kohlhaas_Porträt

Michael Kohlhaas (Mads Mikkelsen). Quelle: http://www.michaelkohlhaas-derfilm.de.

Schön ist Michael Kohlhaas also allemal, und diese Einschätzung bezieht sich sowohl auf die Bildsprache des Films als auch auf den Protagonisten: Mikkelsen nimmt man den mit sich und seinen Überzeugungen im Widerstreit stehenden Kohlhaas ab, der seine Emotionen mit seiner asketischen Mimik jedoch kaum nach außen trägt. Und das ist vielleicht die Krux der Verfilmung des Pallières: das Minimalistische, das die Komplexheit des Kleist’schen Erzählung negiert. Alles ist so stark auf eine Destillierung, eine Demonstration der Essenz von Michael Kohlhaas ausgelegt, dass es als ein gewaltsames Herunterbrechen auf das – vermeintlich – Wesentliche bezeichnet werden kann. So mag die Verlagerung des Handlungsortes von Deutschland nach Frankreich zwar die Universalität des Kampfes Kohlhaasʼ unterstreichen, ist aber letztendlich nur dem ästhetischen Programm des Regisseurs geschuldet – er bestand auf einer kargen Landschaft als Setting – und bedingt auch so manche Logikprobleme: Dass die Frau des Rosshändlers darauf besteht, bei der Prinzessin vorzusprechen, ergibt im Film nur wenig Sinn, hat sie doch, bis auf die Tatsache, auch eine Frau zu sein, wie sie selbst hervorstreicht, sonst keine Verbindung zu ihr; in Kleists Kohlhaas hingegen kennt sie den Kastellan des Kurfürsten, bei dem sie in der Sache ihres Mannes intervenieren und so aus ihren Beziehungen einen Vorteil ziehen möchte – wie so viele andere Figuren im Original auch.

Kleists Erzählung lebt also von der Komplexheit der Sachlage, weniger der rechtlichen als der moralischen: Wer das Original kennt, weiß, dass die verwandtschaftlichen, freundschaftlichen und politischen Verflechtungen, die Kohlhaas davon abhalten, sein Recht zu bekommen, so verworren sind, dass es fast lächerlich ist – was von Kleist wahrscheinlich durchaus so beabsichtigt war. Dasselbe gilt für den Kampf, den Kohlhaas mit sich und dem Rest der Welt ausficht – er ist nicht einfach ein Mensch, der Selbstjustiz übt, damit er Satisfaktion erfährt, sondern jemand, der über ein un- und selbstgerechtes Rechtssystem verzweifelt, vor dem manche Menschen aufgrund ihres Standes gleicher sind als andere. Dabei betont Kleist die komplizierten Ränke, die geschmiedet werden, um den unliebsamen Aufständischen zu Fall zu bringen, genau so wie Kohlhaas’ Rechtsverständnis, das sich in einem Spannungsverhältnis aus tiefem religiösen Glauben, mittelalterlichem Fehderecht und aufklärerischem Gerechtigkeitsverständnis bewegt – und damit unendlich komplexer ist als in des Pallières Film dargestellt. Die Ästhetik dessen Werkes ist unbestritten die einer Kargheit, und es korrespondiert diesbezüglich tatsächlich jeder Bestandteil: Drehort, Kostüme, Kameraführung, Vertonung, Cast, alles ist ästhetisch, alles rigoros reduziert – aber eben zu rigoros, um noch genug von Kleists Kohlhaas übrig zu lassen. Geblieben ist eine optisch in jeder Weise ansprechende, jedoch simplifizierende Verfilmung, der eine Reduzierung der Reduzierung vielleicht gutgetan hätte.

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Kohlhaas und seine Mitstreiter in den Cevennen. Quelle: http://www.michaelkohlhaas-derfilm.de.

Zusammenfassung

Minimalistische Ästhetik, die in einer radikalen Simplifizierung gipfelt – so ließe sich des Pallières Michael Kohlhaas kurz zusammenfassen. Für das Werk sprechen die schönen Bilder – den Vorwurf des „Postkartenismus“ lasse ich hier einmal außen vor –, dagegen der Versuch, damit die Essenz von Kleists Kohlhaas herauszuarbeiten. Dies ist des Pallières, ich muss es so unumwunden sagen, nicht gelungen – und kann niemandem gelingen, da sich ein so komplexes Stück Literatur einer Essentialisierung schlichtweg entzieht. Wer durchkomponierte Bilder mag und einen Einstieg in das Werk Kleists sucht, kann sich den Film getrost ansehen. Da hier das Thema Gerechtigkeit so zentral ist, muss ich aber auch das feststellen: Gerecht wird des Pallières Michael Kohlhaas Kleists Erzählung nicht.

Wertung: 6.5 Pixel

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