Road Not Taken (PC) im Test

von Ben Vollmann 16.09.2014

Seit ich vor mittlerweile 15 Jahren als kleiner Schulbub kopfüber ins Rabbithole Videogames gestürzt bin, habe ich versucht zu begreifen, warum es dieses unselige Sommerloch gibt. Der Grundgedanke, dem zufolge Eltern im Sommer ihre Kinder einpacken und ans Meer fahren, mag ja stimmig erscheinen, aber mal ehrlich: Wessen Eltern können sich jeden Sommer eine neunwöchige Karibik-Kreuzfahrt leisten? 14 Tage Italien maybe, aber da bleiben immer noch sieben quälend lange Wochen, in denen es einfach keine vernünftigen Games zu zocken gibt. Endlos Zeit, Eltern bei der Arbeit – perfekte Rahmenbedingungen für einen Spielemarathon –, und auf der Playstation türmt sich der Staub. Kaum fängt die Schule wieder an, trudeln die Games dann im gefühlten Sekundentakt ein. Matheschularbeit? GTA! Englischtest? Halo! Lateinprüfung? Final Fantasy!

Ja das Leben ist ungerecht, oder besser gesagt: Mein Leben ist ungerecht. Denn ebenso wie die Games in meiner Kindheit erst herausgekommen sind, sobald die Sommerferien vorbei waren, ist das Sommerloch, jetzt, wo ich so erwachsen bin, dass ich nicht mehr in den Genuss der zweieinhalb Monate langen Überdosis Freizeit komme, Geschichte. Die Holiday Season von Oktober bis Dezember mag zwar immer noch die Zeit sein, in der sich die Triple-A-Games dicht an dicht drängen, inzwischen ist aber auch der Sommer alles andere als eine trostlose Zeit, was Videogamereleases betrifft. Hauptsächlich haben wir das den Indiegames zu verdanken, die sich die Abwesenheit von GTA, CoD und Co. während der Sommerpause zunutze machen. Eines von jenen Games ist Road Not Taken.

Winter im Sommerloch?

Die Story des Spiels ist schnell erklärt: Das wegen seines Winteroutfits ein wenig an South Parks Kenny erinnernde Protagonistenwesen von Road Not Taken wird bei einer winterlichen Wanderung durch den Wald von einem Trio Geister angefallen und erwacht nach einiger Zeit aus dem schreckbedingten Koma. Vor ihm im Schnee steckt ein Stab, der sich als magische Fackel entpuppt, mit deren Besitz einige Pflichten einhergehen. Die wichtigste Aufgabe, der sich unser kleiner Fackelträger fortan zu widmen hat, ist, beim Spielen im Wald verloren gegangene Kinder zu retten. Wie schon die einführende Cutscene klarmacht, handelt es sich bei dem Titel aus dem Hause Spry Fox um eines jener Games, deren Artstyle sich wohl am besten mit dem englischen Modewort „whimsical“ beschreiben lässt. Wer zu dem Begriff keine Vorstellung hat, sollte sich den Look von Road Not Taken als irgendwo zwischen niedlich, wunderlich und seltsam angesiedelt vorstellen.

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„Road-Like“

Etwas schwieriger gestaltet es sich, das Gameplay des Indiegames in Worte zu fassen. Road Not Taken ist definitiv ein „Roguelike“, wenn man den Begriff als Etikett für „enthält Perma-Deaths und zufallsgenerierte Levels“ begreift. Die Beschreibung der restlichen in Road Not Taken enthaltenen Zutaten könnte in etwa wie folgt klingen: isometrischer, Grid-basierter, Box-pushing-Puzzler mit Elementen aus Match-Three-Games, Crafting, Loot, soften RPG-Elementen und einem Animal Crossing-esquen Dorfleben. Klingt komplex? Ist es auch, aber dann doch nicht, denn das Core-Gameplay ist eigentlich sehr simpel, und sämtliche eben erwähnten Systeme sind optional. Begebt ihr euch in den Wald, funktioniert jeder Bildschirm wie ein Minipuzzle. Der acht Mal acht Quadrate große Bereich ist mit verschiedenen Objekten und Wesen gefüllt, die meisten davon lassen sich aufheben und tragen bzw. werfen, wobei es euch Ausdauer kostet, mit einem Objekt in den Händen herumzulaufen. Ist eure Ausdauer verbraucht, war’s das, und heißt es zurück zum Anfang. Und damit ist nicht der Levelanfang, sondern der des Spiels gemeint.

Wozu aber eigentlich das Herumgeschleppe? Erinnert ihr euch, dass es die wichtigste Aufgabe unseres Helden ist, Kinder, die sich verlaufen haben, zu retten? Neben den kleinen Rackern trefft ihr im Wald auch auf verzweifelte Mütter. Werft oder tragt ihr ein Kind zu einer beliebigen Mutter, gilt es als gerettet. Rettet ihr alle Kinder, ist das Level abgeschlossen. Daneben gibt es noch Türen, die euch den Weg in den nächsten Bildschirm verwehren. Gott sei Dank steht aber auf jeder Tür fein säuberlich geschrieben, wie man sie öffnet. Manchmal reicht es, drei Tannen aneinanderzureihen, und manchmal ist etwas mehr Geschick gefragt. Das war’s dann eigentlich schon, was das Kerngameplay betrifft. Wenn man Kritik an Road Not Taken üben muss, dann wohl am ehesten für das stellenweise etwas einfallslose Grundprinzip, das man relativ schnell so weit beherrscht, dass es keine wirkliche Herausforderung mehr bietet.

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1 + 1 = ?

Alles andere als simpel zu meistern sind dagegen die unzähligen Gimmicks, Items und Rezepte, die es in Road Not Taken zu finden gibt. Diese sind dann auch die größte Stärke des Spiels. Wer eine Portion Neugier mitbringt, ist klar im Vorteil, das trifft vor allem auf den Crafting-Part in Road Not Taken zu. Kombiniert ihr zum Beispiel zwei Bären miteinander, bekommt ihr was? Richtig! Einen Maulwurf. Zwei Äxte ergeben einen Speer, zwei Hocker ein Geistermädchen, und fügt ihr noch einen Topf für Stäbe hinzu, kriegt ihr stattdessen ein verspieltes Kätzchen heraus. Noch Fragen? Der Wahnwitz und die Liebe zum Detail machen, ebenso wie der wunderschöne Look, einen großen Teil des Reizes von Road Not Taken aus. Ein Minimum an „Handholding“ und ein Gamedesign, das Neugier und Experimentierfreude belohnt, sind Qualitäten, die man leider nur selten in Games findet. Es braucht schon ein wirklich mutiges Studio, um nicht für das größtmögliche Publikum und damit die dümmsten anzunehmenden UserInnen zu designen, sondern für eines, dem man zutraut, mehr zu können, als ihm im Tutorial vorgekaut wird.

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Be-geist-ert?

Wer die nötige Frustrationstoleranz mitbringt, um auch wiederholte Tode, bei denen man alles verliert, was man sich mühsam erarbeitet hat, wegzustecken, gern als mündige/r UserIn behandelt wird, über einige kleine Schwächen hinwegsehen und sich für niedliche Games mit unerwartetem Tiefgang begeistern kann, liegt mit dem „Puzzle-PG“ von Spry Fox goldrichtig. Ich wünschte, in meiner Kindheit hätte ich in den Ferien ein Game wie Road Not Taken gehabt, dessen Fülle an Content allein ausgereicht hätte, um dieses vermaledeite Sommerloch zu stopfen.

Wertung: 8 Pixel

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