Pòrco Rósso (Studio Ghibli Blu-ray-Collection) im Test

von Natalie Lamprecht 08.02.2014

Animekünstler und Studio-Ghibli-Begründer Hayao Miyazaki hat nicht weniger als eine Obsession für das Fliegen. Der japanische Regisseur schuf zahlreiche Filme, in denen das Leben und Reisen in der Luft in all seinen Variationen durchdekliniert wird: Nausicää, Das Schloss im Himmel und Kikis kleiner Lieferservice sind nur einige der filmischen Machwerke Miyazakis, die fliegende ProtagonistInnen und deren diverse Fluggeräte – das Spektrum reicht von Flugschiffen über Luftschlösser bis hin zu Hexenbesen – ins Zentrum des Geschehens rücken. Mit Pòrco Rósso setzte er 1992 schließlich nicht nur die Flugkunst an sich, sondern den Flugkünstler selbst in Szene, und entwarf mit seiner Geschichte rund um den Piloten und Schweinemenschen Pòrco – ganz recht, ein Schweinemensch! – ganz nebenbei ein Plädoyer für Pazifismus und Antifaschismus. Universum ANIME hat diesen Animeklassiker nun für die Studio-Ghibli-Blu-ray-Collection neu aufgelegt – für mich ein willkommener Grund, mir Pòrco Rósso noch einmal anzusehen und ein kritisches Auge darauf zu werfen.

Facts

  • Genre: Anime, Drama
  • Publisher: Universum ANIME
  • Regie: Hayao Miyazaki
  • Releasetermin: 24. Januar 2014

„Nur ein fliegendes Schwein ist ein gutes Schwein“

Dieser Film spielt in einer Zeit, als Wasserflugzeuge die Wellen regierten. Er erzählt die Geschichte eines tapferen Schweines, das zur Rettung seiner Ehre, seiner Liebe und seines Vermögens den Kampf gegen fliegende Piraten aufnahm. Der Name des Helden in unserer Geschichte ist …

Pòrco Rósso. Nomen est omen, denn der Held ist ein seit seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg mit einem Gestaltzauber belegter schweinsköpfiger Pilot. Der Veteran, der nach seinen traumatischen Kriegserfahrungen aus der Armee desertierte, verdingt sich Ende der 1920er in Italien als Kopfgeldjäger von Luftpiraten und lebt zurückgezogen auf einer Insel inmitten der Adria. Seine rote Maschine, ein Wasserflugzeug, ist dabei seine zwar etwas bockige, aber treue Weggefährtin. Freundschaftlichen Kontakt hat der einzelgängerische Pòrco nur mit Gina, Sängerin und Besitzerin des Hotels Adriano: Sie kannte ihn, als er noch seine Menschengestalt hatte, und scheint insgeheim Gefühle für ihn zu hegen.

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Eines Tages fordert der ehrgeizige Pilot Donald Curtis Pòrco zu einem Flugduell heraus, während dieser gerade mit seinem Flugzeug auf dem Weg in den Urlaub ist: Curtis ist von den Luftpiraten angeheuert worden, um dem Kopfgeldjäger flugs das Handwerk zu legen; zudem hat er ein Auge auf die schöne Gina geworfen. Pòrco, der für Kämpfe nichts übrig hat, versucht dem Duell mit halsbrecherischen Manövern zu entkommen, was sein roter Vogel prompt mit einem Motorausfall quittiert. Der Schweinemensch stürzt ab – das geht für ihn glimpflich aus, gibt seinem ohnehin schon lädierten Flugzeug aber endgültig den Rest. Wie gut, dass er ohnehin gerade nach Mailand unterwegs war, um seine Maschine von Piccolo, dem Mechaniker seines Vertrauens, reparieren zu lassen. Ganz zu Pòrcos anfänglichem Missfallen legt aber nicht wie erwartet er, sondern dessen resolute 17-jährige Enkelin Fio, eine begnadete Flugzeugingenieurin, Hand an den Rotvogel an. Als dieser wieder einsatzfähig ist, machen der Pilot und Fio, die es sich nicht nehmen lässt, beim ersten Flug der überholten Maschine dabei zu sein, sich wieder auf den Rückweg – denn Pòrco hat noch eine Rechnung mit Curtis und dem Schicksal offen …

„Lieber Schwein als Faschist“

Pòrco Rósso basiert auf dem im Gegensatz zum Film etwas leichtfüßigeren Manga The Age of the Flying Boat von Miyazaki und war ursprünglich als Kurzfilm für Japan Airlines konzipiert, wuchs dann aber zu einem abendfüllenden Film. Das ist wohl nicht nur Miyazakis Begeisterung für Flugzeuge geschuldet – er ist übrigens Sohn eines Flugzeugingenieurs –, sondern auch einem historischen Ereignis zur Zeit der Produktion des Films: dem Ausbruch des Jugoslawienkriegs. Miyazaki, der im Jahr der Pearl-Harbor-Angriffe geboren wurde und wie viele seiner Generation überzeugter Pazifist ist, machte den vordergründig heiteren Film zu einem Statement gegen Krieg und Rassismus und verband so Kritik an den damals aktuellen Kriegshandlungen mit jener am Faschismus der (Zwischen-)Kriegszeit.

In Pòrco selbst läuft Miyazakis Aufruf zu Zivilcourage und Toleranz zusammen. Dieser Protagonist fordert Aufgeschlossenheit: Er ist halb Schwein, halb Mensch. Warum dem so ist, ist wahrscheinlich die Frage, die sich die ZuseherInnen als Erstes stellen, wenn sie Pòrco Rósso sehen. Nicht so die Figuren im Film: „Seit wann können Schweine fliegen?“ – mehr an Verwunderung über die Tatsache, dass der Pilot Pòrco ein Schweinegesicht hat, wird in Pòrco Rósso nicht zum Ausdruck gebracht, was typisch für Miyazaki-Werke ist: Sie werden immer wie ganz selbstverständlich von den unterschiedlichsten Wesen bevölkert. Auch typisch für die Werke des Japaners ist es, dass Gestaltänderungen durch einen – meist bösen – Zauber hervorgerufen werden, dessen Bann es zu brechen gilt: Pòrco heißt eigentlich Marco, war Pilot im Großen Krieg und hat seine Schweinegestalt erst, seitdem er die Kriegsgräuel miterleben musste.

Pòrco signifiziert schließlich auch den zivilen und militärischen Ungehorsam, der den Gesetzen der Menschlichkeit und nicht dem vorherrschenden Zeitgeist gehorcht: Sich den erstarkenden FaschistInnen anzuschließen und seine Flugkünste wieder für die Luftwaffe einzusetzen, kommt dem Deserteur nicht in den Sinn. Trotz mehrerer Haftbefehle wegen Dienstverweigerung und „unpatriotischen Schweineverhaltens“ lehnt er es ab, seiner politischen Überzeugung zuwiderzuhandeln: „Ich bin lieber Schwein als Faschist“, wird er als Begründung einmal vorbringen. Das ist mein Lieblingssatz im Film und jene Aussage, die den Kern von Miyazakis Werk am besten trifft: Pòrco mag sich mit der Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, an der Grenze zur Illegalität bewegen, er mag manchmal unsensibel – Ginas Gefühle scheint er absichtlich zu ignorieren –, gar chauvinistisch – seine Bedenken gegenüber der Flugingenieurin Fio gründen sich in ihrem Geschlecht – sein; an seiner Humanität ist trotz seines Äußeren aber nicht zu rütteln. Das Kopfgeld jagende Schwein wird immer menschlicher als alle FaschistInnen sein, Punktum.

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Es bleibt die Frage, warum Marco zu Pòrco wurde; warum dem Menschen ein Teil seiner Menschlichkeit abhandenkam. Auch darin liegt der Zauber in den Werken Miyazakis: Eine endgültige Antwort wird nicht geboten, es bleibt stets Raum für persönliche Lesarten. Wenn Gina einmal im Film fragt: „Wie können wir diesen Zauber nur brechen, der dich so verändert hat?“, dann schwingt die Lösung dieses unergründlichen Umstandes in dem „wir“ mit – nicht umsonst wird in vielen Märchen die (Wieder-)Menschwerdung durch die Liebe thematisiert. Der japanische Regisseur lässt es jedoch, zumindest für mich, offen, ob es die Zuneigung ist, die Pòrco erlöst – ebenso, ob er überhaupt erlöst wird. Und auch das könnte eine Botschaft, eine Aufforderung sein: Dann bleibt er eben ein Schwein, na und? Toleranz des Devianten wurde selten so unaufdringlich wie augenzwinkernd eingefordert.

Der Humor kommt, wie es sich für einen Miyazaki gehört, auch sonst nicht zu kurz: Die Luftpiraten lassen sich getrost mit naiv-nett attribuieren, so manche Aussagen des Helden sind voll trockenem Witz, und auch das finale Flugduell Curtis gegen Pòrco ist mehr Entertainmentshow denn bierernstes Gefecht zwischen Nebenbuhlern. Diese slapstickartigen Elemente sowie der von Miyazaki gepflegte kindliche Zeichenstil lockern die eigentlich tragische Geschichte auf und sind, zumindest aus meiner Sicht, unverzichtbar, um den Film auszutarieren. Dennoch ist Pòrco Rósso, im Gegensatz zu den meisten anderen Werken des Japaners, kein Film für Kinder: Die historische Einbettung der Geschehnisse, die zahlreichen (pop-)kulturellen Anspielungen – ich möchte hier die Referenz auf das WK-I-Fliegerass Manfred von Richthofen, den „Roten Baron“, hervorheben, dem Pòrco ganz offensichtlich nachempfunden ist – und die beinahe schwermütige Story zeichnen Pòrco Rósso eher als Erwachsenenkost aus.

Bild & Ton

Die Schärfe des Bilds, der hohe Detailgrad und die satten Farben mit ausgewogenen Kontrasten fallen selbst mir nicht gerade Technikaffinen auf – vor allem Pòrcos Flugzeug strahlt im schönsten „aufdringlichen“ Rot, wie Curtis sagen würde. Gerade hier zeigt sich aber auch ein kleines Manko: Wenn das Flugzeug in Bewegung ist, entdeckt man stellenweise weiße Pixel. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau, denn die Neubearbeitung hebt die liebevollen Hintergründe und Feinheiten Pòrco Róssos subtil hervor. Sämtliche Flugmanöver und -ballette wirken damit noch flüssiger animiert, und wenn die Piloten mit ihren Oldtimer-Maschinen vor blauer Himmelskulisse ihre Luftakrobatik vollführen, möchte man am liebsten Ko-PilotIn sein. Die Musik von Ghibli-Komponist Joe Hisaishi tut ihr Übriges, um das Wechselspiel zwischen Tragödie und Komödie zu unterstreichen, aber Hand aufs Herz: Der Song, der mir Letzteres besonders schwer gemacht hat und damit in Erinnerung geblieben ist, ist „Le Temps de Cerises“, ein lakonisches Liebeslied aus dem 19. Jahrhundert, das eigentlich die Vergänglichkeit der Liebe thematisiert, später aber als Chanson mit politischem Subtext Bekanntheit erlangt hat. Die Version in Pòrco Rósso ist besonders schön. An den Tonspuren in Deutsch und Japanisch in DTS-HD Master Audio 2.0 gibt es auch nichts zu mäkeln: Die Abmischung ist gut und die Stimmen glasklar.

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Verpackung & Extras

Die Digipack-Verpackung für Pòrco Rósso ist im gleichen Stil wie die bereits veröffentlichten Filme der Studio-Ghibli-Blu-ray-Reihe gehalten. Das Äußere ist wie immer minimalistisch: Die Farbe des Schubers korrespondiert mit jener von Pòrcos Flugzeug, der Schriftzug „Pòrco Rósso“ ist weiß, ebenso wie die Silhouette des Protagonisten, die auf dem Schuber abgebildet ist. Wer das FSK-Logo auf der Vorderseite als störend empfindet, kann es getrost entfernen – es ist ein Sticker, der sich rückstandslos abziehen lässt. Etwas mager ist das Bonusmaterial ausgefallen; vor allem das nur dreiminütige Interview mit Produzent Toshio Suzuki hätte ausführlicher sein können. Die Extras umfassen:

  • Storyboards zum kompletten Film
  • Interview mit Produzent Toshio Suzuki
  • Vier japanische Originaltrailer
  • Studhio-Ghibli-Trailershow: acht Trailer zu verschiedenen Studio-Ghibli-Filmen
  • BD-Live

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Zusammenfassung

Pòrco Rósso ist mit Sicherheit nicht der berühmteste, wahrscheinlich auch nicht der beste Film Miyazakis; die Verwebung von Tragischem mit Heiterem, die gemächliche Entwicklung der Geschichte und damit des Helden, das interpretatorisch unaufdringliche Ende und vor allem die philanthropische Botschaft des Films zeigen aber wieder einmal, dass der Animeregisseur die Kunst des Erzählens versteht. Allein die Szene, in der sich Marco an seinen Einsatz im Krieg, den Verlust seiner gesamten Kompanie und damit aller seiner Freunde erinnert – es ist die Schlüssel- und wahrscheinlich schönste Szene in Pòrco Rósso – macht den Film sehenswert. Für Animefans, die Studio-Ghibli-Produktionen mögen und Miyazaki lieben, führt kein Weg daran vorbei. Ob dafür allerdings die Blu-ray-Version nötig ist, lasse ich dahingestellt, denn mehr als die DVD-Version hat sie, bis auf die satteren Farben und die vielleicht etwas bessere Tonqualität, nicht zu bieten. Aber egal, ob auf DVD oder Blu-ray: Anschauen lohnt sich!

Wertung: 9 Pixel

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