Nostalgie und Videospiele – früher war alles besser!

von postbrawler 28.09.2016

Ich erinnere mich gerne an die guten alten Spiele von Anno dazumal. Damals war schließlich alles besser! EntwicklerInnen waren noch unabhängig, Grafiken wurden gepixelt und im Fokus stand die Kreativität, nicht der Profit. Doch wenn ich eines meiner Jugend-Games heute zocke, halte ich selten bis zum Schluss durch. Klobige Steuerung, unzureichende Komfortfeatures und ein Speichersystem aus der Hölle machen mir schnell den Spielspaß zunichte. Woher kommt also diese Nostalgie, die wir verspüren, wenn wir an Altes denken?

Retrospektive mit Sinnsuche

Seit mehr als 40 Jahren gibt es Videospiele. Eines der Ersten war Pong aus dem Jahr 1972. Heute sind SpielerInnen im Schnitt 35 Jahre alt, und kennen (wie ich) Pong nur mehr aus Museen und Geschichtsbüchern. Die Pionierarbeit der Videospiel-Geschichte geschah schon vor meiner Zeit. Ich kam genau rechtzeitig für die ersten Side-Scroller. Ich erlebte den Wandel vom klobigen Arcade-Monstrum zur handlichen Heimkonsole mit. Meine erste Konsole war ein Gameboy mit Super Mario Land. Ich kann heute noch die Augen schließen, die Melodie vor mich hin summen, und sehe den 12×12 Pixel großen Klempner in grün-gelb vor meinem geistigen Auge durch die Levels hüpfen.

Super Mario Land am Gameboy ist Nostalgie

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Erst vor kurzem habe ich wieder einmal eine Runde in Super Mario Land gedreht. Die Grafik verursacht heutzutage Augenkrebs. Der alte Gameboy flackert, spiegelt und schliert vor sich hin. Und wehe einem, wenn die Batterie zur Neige geht. Heute noch durchleben erwachsene Menschen Angstzustände, wenn ein kontrastreiches Grün-auf-Gelb-Bild unvermittelt zu Hellgrün-auf-Dunkelgelb verschwimmt, und schließlich ganz verschwindet. Denn speichern kann man in Super Mario Land nicht. Das Gerät auszuschalten, oder die Batterien zu wechseln bedeutete unweigerlich von vorne anzufangen. Keine Leben mehr? Von vorne anfangen. In der vierten Welt beim letzten Anlauf an Tatanga scheitern? … genau!

Ein Bug sie zu knechten

Darüber hinaus gab es damals schlichtweg Bugs in Spielen, die nach Veröffentlichung der Cartridges nicht mehr gefixt werden konnten. Wenn Mario durch die Plattform durchsegelte, die er totsicher hätte erwischen müssen. Wenn die Hitbox eines Gegners unbarmherzig schon 5 Pixel früher zuschlug. Oder wenn Feuerkugeln ohne Wirkung durch Koopa-Troopas hindurchzischte. Dinge die uns beim Zocken heute selbstverständlich erscheinen, waren damals eine unfaire Bereicherung des Schwierigkeitsgrades. Umso stolzer war man, wenn die Prinzessin am Ende mit Mario ins Raumschiff stieg.

Kindheitserinnerungs-Cocktail

Diese und andere Momente unserer frühen Kindheitserfahrungen bringen wir mental unweigerlich mit Videospielen in Verbindung. Wenn ich an Super Mario Land denke, dann auch an die verregneten Herbsttage meines Heimatortes. Oder an die lauen Sommernächte, wo man gut im Freien zocken konnte. Mit viel Freizeit, und noch mehr Geduld ausgestattet verzieh ich gerne den ein- oder anderen Bug, und erfreute mich an der Vielfalt und dem Unerforschten dieses jungen Mediums.

Im modernen Hier und Jetzt, als berufstätiger Familienvater treiben mich solche kleinen Schönheitsfehler schnell in den Wahnsinn. Der Trend geht zum Zweithandy und zum Drittcomputer. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen zusehends. Wenn ich mir die Zeit nehme mich elektronischer Unterhaltung hinzugeben, dann hat das Ergebnis bitteschön perfekt zu sein. Wohldosiert, grafisch beeindruckend, und jederzeit pausierbar. Heutige Spiele sind genau auf diese Ansprüchen zugeschnitten. Autosave schlägt Quicksave. Halbzeitfahne unterliegt Checkpoint. Egal ob Angry Birds oder Call of Duty. Ja, sogar ein World of WarCraft verzeiht es mir mittlerweile, wenn ich mitten im LFG-Raid keinen Bock mehr hab.

Nicht alles Gold, was glänzt

Das bedeutet nicht, dass es keine Ärgernisse mehr gibt. Download-Wartezeiten. Gigabytegroße Day-One-Patches. Bezahl-DLCs. Die Mängel im Spiel werden zunehmend durch Mängel in der Infrastruktur rund ums Spiel abgelöst. Früher musste ich die kleinen Fehler, die Spiele so liebenswert und herausfordernd machten, durch Geschick und Geduld kompensieren. Heute nerven sie mich einfach nur!

Und das ist der Grund, warum uns die Erinnerung ein Schnippchen schlägt. Spiele von damals waren nicht besser, noch waren sie unterhaltsamer, oder gar fordernder. Über alles Vergangene legt sich lediglich der Schleier der Beschönigung. Die Vergangenheit sehen wir durch eine rosarote Brille. „Früher war alles besser“ ist ein Spruch, der sich nicht nur auf Games anwenden lässt. Tut euch selbst einmal einen Gefallen, und spielt eines eurer Lieblings-Games von damals. Anno 1602, Monkey Island, das erste Resident Evil, oder eben Super Mario Land. Ihr werdet erstaunt sein, wie sehr euch eure Erinnerung durch Nostalgie in die Irre leitet. Und wie ungeduldig wir alle durch unseren eigenen Zeitgeist eigentlich geworden sind.

3 Comments
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Jonas

Also ich bin mittlerweile 37, berufstätig, verheiratet und werde bald Papa. Ich spiele regelmäßig alte Spiele, gerade das von dir erwähnte Super Mario Land habe ich letztens mal auf der Virtual Console auf dem 3DS gekauft und gespielt. Und ich muss sagen, ich finde es immer noch ein sehr gut gemachtes, spaßiges Spiel. Das gleiche gilt für eine ganze Reihe alter Spiele, die ich mal wieder eingelegt habe: Gradius, R-Type, Bomberman, Sonic… ich kann damit immer noch stundenlang Spaß haben. Die Spiele haben sich ja nicht verändert, nur du bzw. man selbst. Und ich bin immer noch recht frustresistent wenn… Read more »

[…] zum Bereicht meines Kollegen Berni, der erst vor kurzem über Nostalgie und Videospiele berichtete möchte ich euch jetzt meine Hands-on-Eindrücke vom NES Mini präsentieren. Auf der […]

Jasna

Stimmt, die spiele waren nicht unbedingt besser, jedoch war das angebot überschauberer, das führte dazu, dass wir mehr zeit für ein game hatten/verbrachten – und das wiederum, denke ich ich, hat uns emotional mit diesem verbunden. Wir spielten es immer und immer wieder. Und natürlich ist der faktor kindheit wichtig, eine sorgenfreie zeit, in die man sich hineinversetzen möchte. Manchmal spiel ich noch mit meiner Schwester Chrash Bandicoot und es versetzt uns ins jahr 1997. Wir lachen, weil wir an den selben stellen sterben wie früher, oder streiten weil jede denkt sie könne das level besser. Ich hoffe die kiddies… Read more »