Get Even-Test: Was ist real?

von David Kolb-Zgaga 03.08.2017

Get Even ist anders, ist ungewöhnlich, ist fernab klassischer Mainstream-Geschichten. Zwar gibt es spielerisch ein paar Mängel, aber in einer Industrie, wo ständig nach Innovation geschrien und es doch so selten ernst gemeint wird, übt sich der Shooter in erfrischend neuen Ansätzen. Ich habe mit Get Even sehr interessante und außergewöhnliche Stunden erlebt. Warum? Das lest ihr in meinem Test.

Welcome to Mindfuckhausen

Diese außergewöhnliche Erfahrung ist aber gar nicht so leicht in Worte zu fassen, da Entwicklungsstudio The Farm 51 abseits von bekannten Schablonen operiert. In mehreren Leveln einer psychiatrischen Anstalt sucht man als Söldner Cole Black ständig nach Hinweisen, die das Geschehen Stück für Stück aufdecken. Das klingt alles sehr nach Krimi und spielt sich auch so. Das Besondere daran ist, dass Black ein Headset aufhat, mit dem wir seine (verlorenen) Erinnerungen nachholen und so versuchen die Wahrheit in die verwirrende Geschichte zu bringen. In vielen Sequenzen verschwimmen Realität und Wahnsinn.

Dadurch kann man weder Black noch, den Personen trauen, auf die der Söldner innerhalb und außerhalb seiner Erinnerungen trifft. Durch den Unreliable Narrator, der sogar verschwurbelte Traumsequenzen erlebt, kommen schnell Filme wie Memento oder Inception ins Gedächtnis. Aus diesem Grund hat mich die Story von Anfang an mitgerissen und die Wendungen bieten sehr schön gemachten Mindfuck. Ich möchte daher zur Story an sich nicht mehr verraten, denn sogar die erste halbe Stunde beinhaltet schon einen Spoiler, der das gesamte Spielgeschehen umkrempelt. Auch wenn Get Even von der Ausarbeitung und dem Detailgrad nicht mit einem Bioshock Infinite mithalten kann (aber wer kann das schon?), hat es trotzdem eine äußerst spannende Geschichte zu bieten, die mit ihrem Ende einen sinnvollen und smarten Höhepunkt abliefert. Allein deshalb sollte man Get Even unbedingt spielen.

Horroranleihen ohne Jumpscares

So wie auch das Spiel das gerne macht, springen wir zum Anfang zurück und beschäftigen uns noch einmal mit dem Spurensammeln. Die detektivischen Arbeiten werden Black durch sein Smartphone erleichtert. Das zeigt nicht nur eine Umgebungskarte mit allen Feinden, es vibriert auch, wenn ihr in der Nähe eines wichtigen Hinweises seid. Das können Blutflecken oder auch abgetrennte Arme sein, die das Handy analysiert und angibt, wem die Körperflüssigkeit oder die Extremität früher einmal gehörte. Apropos abgetrennte Gliedmaßen: Get Even hat mit seiner brutalen Anstalt die Anmutung eines Horrorgames. Es gibt dankenswerterweise aber nicht einen Jumpscare, sondern „nur“ eine sehr beklemmende und bedrückende Atmosphäre. Das liegt vor allem auch am Soundtrack, der richtig schön verstörend ist, doch dazu später mehr.

Um die Ecke denken

Während man sich gerade noch die Fragen wo bin ich, wer bin ich und was zum Teufel mache ich hier stellt, bekommt man auch schon eine Cornergun in die Hände gedrückt. Dieses Schusseisen ist auf dem Waffenmarkt der heißeste Scheiß, denn per Display kann Black so gefahrlos um die Ecke schießen. Versteht mich nicht falsch, die Waffe ist ein cooles Gimmick und ich habe sie auch gerne genutzt, nur sagt mir Get Even gleich zu Beginn, dass ich niemanden töten soll und damit ist das gute Stück Hightech eigentlich wertlos.

Das hat mich schon bei Spielen wie Dishonored 2 gestört, wo mir das Spiel die coolsten Skills mitgibt, ich diese dann aber nicht einsetzen soll, wenn ich moralisch gut handeln möchte. Frei nach dem Motto: Hier hast du die Waffe, aber jetzt verwende sie bloß nicht! Gut, ganz so drastisch wird es nicht erklärt, aber verwendet man Gewalt in Get Even dann bekommt man auch einen anderen Fortlauf der Geschichte.

Schleichen vor Schießen

Der spielbare Thriller ist zu großen Teilen ein Schleichspiel und wird ohne Waffeneinsatz bock schwer. Zwar werden Feinde und deren Sichtkegel am Handydisplay angezeigt, die schiere Masse an Security, kann aber trotzdem dazu führen, dass Black leicht entdeckt wird. Gamplaytechnisch ist die Schleich- und Schießmechanik von Get Even gerade einmal solide. Das ist aber auch nicht weiter tragisch, denn die Story und die Art wie der Thriller erzählt wird, tragen das Spielerlebnis und kaschieren diese Elemente. Außerdem werden zur spielerischen Abwechslung kleine Rätsel eingestreut, die die UV-Lampe oder die Wärme-Sicht des Smartphones sinnvoll nutzen. Dadurch findet man mit Black geheime Nachrichten an den Wänden oder muss Dampf aus Heizungsrohren so umleiten, dass der Weg frei ist und Black sich keine Verbrennungen mehr zuzieht.

Welcome to the Party

Da war gerade noch eine verschlossene Tür, nun ist sie offen!

Get Even wird euch während des Spielens viel zum Grübeln bringen. Was ist Realität und was nicht, was mache ich hier und was ist mit dieser Anstalt passiert? Zusätzlich dazu lässt mir das Spiel an bestimmten Stellen die Wahl. Höre ich auf den Sprecher aus dem Off oder handle ich gegenteilig. Beim ersten Durchspielen verstehe ich manchmal noch gar nicht, zwischen welchen Optionen ich nun eigentlich wählen darf. In diesem Fall handelt es sich jedoch nicht um schlechtes Gamedesign, sondern viel mehr um das Konzept des Spiels. Der Hauptcharakter Black hat oftmals keinen Tau, was er da gerade anstellt.

Das fühlt sich bedrückend an und erschafft eine schöne Atmosphäre, die der Soundtrack und die Optik perfekt unterstreichen. Die Nervenanstalt ist verfallen, alles ist kaputt, überall liegt Staub und alles vermittelt mir den Eindruck, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Dasselbe macht aber auch der Sound mit mir, denn der pocht, wummert und knarzt in den intensiven Momenten nervenaufreibend gut. Ich hatte sogar drei Tage lang einen Ohrwurm von einem Insassen, der immer wieder das Gleiche gesungen und gesummt hat: „The Partey, they‘re coming – The Partey, they‘re coming…“ – einfach herrlich verstörend.

Fazit Get Even

Get Even ist anders, Get Even traut sich was! Es erzählt eine nicht lineare Geschichte, die viele Fragen aufwirft, wendungsreich und spannend ist und zu einem sehr interessanten Ende führt. Während das Gameplay nicht all zu abwechslungsreich ist, motiviert mich die Story dazu jeden noch so kleinen Hinweis zu suchen und somit mehr Hintergrundinformationen aufzudecken.

The Farm 51 bietet mir durch die ungewöhnliche Mischung aus Shooter, Stealth, Psycho-Mindfuck und Science-Fiction eine außergewöhnliche Spielerfahrung, die ich uneingeschränkt empfehlen kann. Get Even mag vielleicht nicht das ausgereifteste oder bestpolierteste Spiel sein, aber es hinterlässt einen Eindruck! Auch Stunden nach dem Ende denke ich noch immer über das Erlebte nach und bin beeindruckt, wie The Farm 51 seine Geschichte erzählt hat.

Wertung: 8.4 Pixel

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