Die Bücherdiebin (Blu-ray) im Test

von Max Hohenwarter 01.11.2014

Brian Percival verfilmte Markus Zusaks Bestseller Die Bücherdiebin. Warum meine nun folgende und wahrscheinlich sehr kontroverse Aussage „ein märchenhaft inszeniertes Leben unterm Hakenkreuz“ im Bezug auf den Film durchaus gerechtfertigt ist und warum die Macht der Wörter Licht ins Dunkel bringen kann, lest ihr in meinem Review der Blu-ray.

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Facts:

  • Genre: Literaturverfilmung/Drama
  • Vertrieb: 20th Century Fox Home Entertainment
  • Regie: Brian Percival
  • Release: 12. September 2014

Worum geht’s?

Die neunjährige Liesel Meminger (Sophie Nélisse) wird mit ihrem Bruder von der Mutter (Heike Makatsch) 1938 zu Pflegeeltern gegeben. Nicht etwa aus Herzlosigkeit entschließt sie sich dazu, sondern weil sie aufgrund ihrer politischen Überzeugung und der daraus resultierenden Verfolgung durch die Nazis gezwungen wird.

Als Erzähler der Geschichte fungiert der Tod (Ben Becker). Seine und Liesels Wege kreuzen sich oft im Verlauf der Geschichte. Das erste Mal, als ihr Bruder die beschwerliche Zugfahrt nicht übersteht. Bei seiner Beerdigung findet Liesel ein Handbuch für Totengräber, das fortan ihre einzige Erinnerung an ihren kleinen Bruder sein wird. Nach diesem traurigen Zwischenfall kommt Liesel an ihrem Bestimmungsort und neuen Zuhause, bei den Pflegeeltern Hans (Geoffrey Rush) und Rosa Hubermann (Emily Watson) in der Himmelstraße, an.

Unterschiedlicher könnten die beiden nicht sein, denn während Papa Hubermann sich als liebevoll erweist, gibt Mama Rosa die böse Stiefmutter in Reinkultur. Auch in der Schule ist die Situation ähnlich zwiegespalten. Während sich Liesel in kürzester Zeit mit dem Nachbarsjungen Rudi anfreundet, der sie liebevoll „Saumensch“ nennt, wird sie von den anderen KlassenkameradInnen aufgrund ihrer Leseschwäche gehänselt. Ab diesem Zeitpunkt versucht sie sich mithilfe von Papa Hans und dem erbeuteten Bestatterhandbuch das Lesen beizubringen, macht dabei riesige Fortschritte und lernt so ihre Liebe zum geschriebenen Wort kennen. Ihre Leselust geht sogar so weit, dass sie sich in Gefahr bringt, indem sie nach einer von den Nazis abgehaltenen Bücherverbrennung eines der verbotenen und halb verbrannten Werke aufsammelt, wobei sie von der Frau des Bürgermeisters beobachtet wird.

Kurze Zeit darauf klopft es an die Tür der Himmelstraße. Der Jude Max (Ben Schnetzer), dessen Vater Hans Hubermann einst das Leben rettete, bittet um Asyl. Durch diese Altschuld, sieht sich die Familie gezwungen, Max aufzunehmen und begibt sich in Lebensgefahr. Zwischen Liesel und Max entwickelt sich eine enge Freundschaft in der sogar Hitlers „Mein Kampf“ eine tragende Rolle spielt – vor allem, als die Seiten der braunen Bibel weiß werden und Max Liesel die den Wörtern zugrunde liegenden Emotionen lehrt.

Bild, Ton und Extras:

Die Bücherdiebin besticht durch eine wundervolle Bildsprache, die vornehmlich Kameramann Florian Ballhaus, der die Szenerie zwar auszunutzen weiss, jedoch oftmals zu sauber wirkende Bilder der dunkelsten Stunde Deutschlands einfängt, zu verdanken ist. Erwähnenswert ist auch die Farbgebung des Films, der vornehmlich in sehr kühlen Blautönen gehalten ist und so die Herzenskälte eines Lebens unter Hitlers Führung ausdrückt. Für Abwechslung sorgen nur die großzügig in den Szenen platzierten Hakenkreuzfahnen, die einen blutfarbenen Farbtupfer, der höchstens die bedrohliche Omnipräsenz der Partei und die Überwachung widerspiegelt, darstellen. Wärme kommt nur durch Bücher und Familiensinn ins Spiel, denn in diesen Szenen dominieren goldene Töne, die wundervoll mit der emotionalen Eiszeit der Diktatur kontrastieren.

In Sachen Ton und Musik überzeugt Die Bücherdiebin auf ganzer Linie. Altmeister John Williams (Harry Potter, Star Wars) wurde für seine gefühlvolle Score sogar mit einer Oscar-Nominierung bedacht. Auch wenn ich ein großer Fan von Filmen im O-Ton bin, sah ich mich aufgrund der in Deutschland angesiedelten Geschichte gezwungen, die deutsche Synchronfassung zu wählen. Hier überzeugt vor allem Ben Becker als Tod, der aus dem Off erzählt, im Gegensatz zum Buch jedoch leider sehr selten zu Wort kommt.

Die Bonussektion der Blu-ray bietet einen „Original Kinotrailer“, vier entfallene Szenen und eine halbstündige Behind-the-Scenes-Dokumentation, die die Ausstattung des Films, die Buchvorlage, John Williams Musik und das Casting genauer beleuchten. In dieser Featurette, einer der interessantesten, die ich seit Langem als Draufgabe bei einer Blu-ray gesehen habe, kommen der Regisseur und die Produzenten von Die Bücherdiebin zu Wort.

Kritik:

Ich möchte zu allererst zu meiner anfänglich getroffenen Feststellung, dass Die Bücherdiebin ein märchenhaft inszeniertes Leben unterm Hakenkreuz schildert, zurückkehren und diese doch sehr gewagte These erklären. Ich will damit keinesfalls die Zeit des Dritten Reiches verharmlosen oder glorifizieren – nichts liegt mir ferner.

Die Bücherdiebin spielt, wie bereits erwähnt, in einer der unmenschlichsten Epochen unserer Zeit. Die Nazis „reinigen“ die Welt von allem, das ihre autokratische Weltordnung gefährdet, töten Millionen unschuldiger Menschen, verbrennen entartete Kunst und Literatur, auf dass alle nur noch im Stechschritt marschieren und dem Führer bedingungslos und gehorsam folgen.

Dennoch hält sich die Geschichte nicht damit auf, diese ohnehin bekannten Verbrechen zu sehr zu beleuchten, sondern beschränkt sich darauf, diese dunkle Zeit als Hintergrund zu nutzen, um den Kampf einer Familie und eines Mädchens zu schildern, die sich dem System, jeder auf seine Weise, widersetzen.  Die Hubermanns tun es, indem sie, trotz der Gefahr für das eigene Leben, einem Juden Unterschlupf gewähren. Liesel tut es, indem sie zu lesen lernt, sich das Wissen der verbotenen Bücher aneignet, so für deren Weiterbestand sorgt und im späteren Geschichtsverlauf sogar damit heilt. Alles in allem also eher eine Erzählung über das Leben einer normalen, nicht von den Nazis zur Unmenschlichkeit getriebenen Familie, die aus ihrem harten Los das Beste macht und sich trotz der allumspannenden Angst widersetzt.

Die Figuren – und nun kommen wir zum Märchenhaften – sind allesamt sehr stereotyp gezeichnet und könnten glatt einer Geschichte der Gebrüder Grimm entsprungen sein. Wir haben den liebevollen Vater, die Stiefmutter mit harter Schale und – wie sich später offenbart – weichem Kern, die Nazis als pures Böses und eine Szenerie, die aufgrund ihrer plakativen Gestaltung, das von dunklen Mächten befallene Königreich darstellt. Abgerundet mit John Williams gefühlvoller Filmmusik und dem Tod als einer Art auktorialem Erzähler, der untypisch sanft die Geschehnisse kommentiert, versprüht Die Bücherdiebin tatsächlich den Eindruck, mehr ein Märchen, denn eine faktentreue Abhandlung geschichtlicher Ereignisse zu sein.

Mit Die Bücherdiebin gelingt Brian Percival eine schöne und solide, wenn auch nicht perfekte Literaturverfilmung. Störend wirken am runden Gesamtkonzept lediglich einige Kleinigkeiten: Da sind zum Beispiel die englischen Vokabeln in Liesels „Keller-Wörterbuch“. Was hat man sich dabei gedacht? Bei einem Film, der in Deutschland angesiedelt ist und in dem das geschriebene Wort eine derart große Rolle spielt, schreibt Liesel englische Worte an die Wand? Hätte man diese nicht einfach untertiteln können? Außerdem kommt der Tod im Buch viel öfter zu Wort. Im Film hingegen beschränken sich seine Kommentare auf einige wenige Momente. Und das, obwohl man mit Ben Becker in der deutschen Synchron- und mit Roger Allam in der englischen Originalfassung sehr fähige Stimmen hat, die diese Rolle gebührend tragen können. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Altersfreigabe. Klar: Das liegt im Ermessen der FSK, aber anführen möchte ich es außer Konkurrenz doch: Auch wenn die Geschichte großteils kindgerecht aufbereitet ist und auch, wenn man argumentieren könnte, dass die Verbrechen der Nazis nicht verharmlost werden dürfen, möchte ich Eltern doch davon abraten, den Film mit einem oder einer 6-Jährigen zu schauen. Denn wenn die braunen Schergen während der Novemberpogrome Juden auf übelste Weise misshandeln und die Kamera selbst beim Nachtreten auf am Boden liegende, blutende Menschen voll draufhält, ist das definitiv zu viel für Kinderaugen.

Die Bücherdiebin ist berührend, mitreißend, teils schön, teils aber auch verstörend. Einige Elemente der Verfilmung sind, wie oben erwähnt, nicht gut umgesetzt und werden der Romanvorlage nicht gerecht. Dennoch ist Die Bücherdiebin ein Film, der auf der dunklen Zeit des dritten Reiches fußt und dennoch rein durch die Kraft der Worte und Menschlichkeit in der Not ein Licht in dieser düstere Epoche erstrahlen lässt. Lebensbejahend und märchenhaft.

Wertung: 8.5 Pixel

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