Deine Schönheit ist nichts wert (DVD) im Test

von Natalie Lamprecht 27.04.2014

Der erste Kinospielfilm des deutsch-kurdischen Regisseurs Hüseyin Tabak, Deine Schönheit ist nichts wert, gewann zahlreiche Preise – darunter den Österreichischen Filmpreis 2014 in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch und Beste Musik – und wurde von internationalen KritikerInnen in den höchsten Tönen gelobt: „Beautiful coming-of-age story unfolds without a single cliché“, fasste etwa Karlovy Vary vom „Hollywood Reporter“ die Geschichte, die sich des delikaten Themas Immigration annimmt, zusammen. Durch den poetischen Titel und die durchgehend positive Resonanz neugierig geworden, wollte ich mir auch ein Bild von Tabaks Werk machen. Lest hier, welchen Eindruck ich davon gewonnen habe.

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Facts

Genre: Drama
Publisher: Filmladen
Regie: Hüseyin Tabak
Releasetermin: 14. März 2014 (Österreich)

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“

Der zwölfjährige Veysel (Abdulkadir Tuncer), der von seinen Eltern nach dem beliebten türkischen Dichter und Sänger Âşık Veysel benannt wurde, lebt seit einem halben Jahr in Wien: Sein Vater (Nazmi Kirik), ein Kurde, musste wegen seines Kampfes gegen die türkische Regierung in der Türkei eine Haftstrafe abbüßen und floh nach deren Beendigung mit seiner Familie nach Österreich, um der rigorosen politischen Verfolgung zu entgehen. Dort hat es die kurdisch-türkische Familie – die Mutter (Lale Yavas) ist Türkin – nicht gerade leicht: Die Sprachbarriere grenzt die ImmigrantInnen von ihrer deutschen Umgebung ab. Vor allem Mazlum (Yüsa Durak), Veysels älterer Bruder, der es seinem Vater nicht verzeihen kann, wegen seines ideologischen Kampfes seine Familie gefährdet und durch die Flucht in ein unbekanntes Land zu einem „Fremdkörper“ gemacht zu haben, bereitet seinen Eltern Sorgen: Er verlässt sein Zuhause und schließt sich einer Gang an. Doch auch dem sensiblen, introvertierten Veysel fällt die Integration – nicht zuletzt aufgrund seiner schwierigen Familiensituation – schwer. Einziger Lichtblick für ihn ist seine hübsche Klassenkameradin Ana (Milica Paucic), in die er heimlich verliebt ist, die er sich jedoch nicht anzusprechen traut – im wahrsten Sinne des Wortes, ist sein Deutsch zu seinem Leidwesen ja bestenfalls gebrochen.

Da ist es Segen und Fluch zugleich, als er und die anderen SchülerInnen von ihrer Lehrerin die Aufgabe bekommen, ein Gedicht auswendig zu lernen und vorzutragen. Für den Protagonisten ist klar, dass dafür nur ein Text infrage kommen kann: Âşık Veysels „Deine Schönheit ist nichts wert“, ein Liebes- und gleichzeitig Veysels Lieblingsgedicht. Die Frage ist nur: Wer soll ihm das Gedicht übersetzen, das auf Türkisch verfasst ist, wie soll er es auf Deutsch auswendig lernen und, noch schlimmer, vor der gesamten Klasse vortragen? Gut, dass sein ebenfalls türkischstämmiger Nachbar Cem (Orhan Yildirim) – ein Macho mit dem Herz am rechten Fleck, der perfektes Deutsch spricht – sich nach anfänglichem Widerstand dazu bereit erklärt, ihm behilflich zu sein. Als Veysel das Gedicht nach langem Üben endlich beherrscht und allen seinen Mut zusammennimmt, um es vorzutragen und damit vielleicht Anas Herz zu erobern, überschlagen sich die Ereignisse: Mazlum wird wegen Drogenbesitzes festgenommen, der Familie droht die Abschiebung, und auch Ana trägt eine schwere Last. Ob es Veysel gelingen wird, unter diesen prekären Umständen seine Gefühle in (deutsche) Worte zu fassen, und welche Wendungen die Geschichte noch nehmen wird, möchte ich euch selbst herausfinden lassen.

Dein Menschsein ist nichts wert

Das Wittgenstein-Zitat oben deutet es schon an: Die Geschichte in Deine Schönheit ist nichts wert hat ihren Ausgangspunkt in der Sprache und entfaltet von dort ein Panoptikum des (vermeintlichen) Fremd-, Anders- und letztendlich Menschseins. Dass der Protagonist Veysel nach dem berühmten Poeten Âşık Veysel benannt ist, ist kein Zufall, ebenso wenig die Auswahl des Gedichts. Die Liebe zur Sprache, zur Poesie ist den beiden gemein, auch ihre tragische Geschichte, die sie von ihrer Umwelt in gewisser Weise abschneidet: Der Dichter musste zahlreiche Schicksalsschläge, darunter den Verlust seines Augenlichts in seiner Kindheit, hinnehmen; nicht umsonst sind seine Dichtung und seine Musik voll Schwermut. Veysel wiederum, der zweisprachig aufgewachsen ist – er beherrscht Kurdisch und Türkisch – und damit eigentlich über einen reichen Wortschatz verfügt, muss in der fremdsprachigen Umgebung einen (temporären) Kommunikationsverlust verwinden: Zu Hause trifft er auf einen wortkargen Vater, in der Schule auf eine ihm ablehnend gegenüberstehende Lehrerin, die naturgemäß (und ohne Rücksicht auf Veysel) auf Deutsch unterrichtet – und in beiden Fällen damit auf eine sprachliche Mauer. Dort, wo ihm die Sprache abhandenkommt, flüchtet er sich aus der bitteren Realität in Tagträumereien, die stets ohne verbale Kommunikation, dafür voller positiver Emotion sind. Hier setzt die Figur Anas an – übrigens eine Figur, die sowohl der Protagonist als auch die ZuseherInnen als Lichtpunkt in der sonst düsteren Geschichte bitter nötig haben –, denn für sie möchte Veysel Deutsch lernen und so die Sprachbarriere, die zwischen ihnen steht, überwinden.

Deine Schonheit ist nichts wert

Das Publikum bekommt also die Geschichte von ImmigrantInnen, in diesem Fall politischen Flüchtlingen, aus der Sicht eines sensiblen Zwölfjährigen zu sehen, die wahrscheinlich beispielhaft für die zahlreichen Schicksale ist, die diese erleben. Hier lässt sich übrigens einer der wenigen Wermutstropfen des Films anmerken: Ohne Klischees kommt er nämlich nicht aus. Die Mutter ist Krankenschwester, der Vater „aus den Bergen“, wie Mazlum einmal spöttisch anmerkt, Handwerker; der ältere Sohn steht auf ideologischer Ebene im Konflikt mit seinem Vater und schlägt den Weg in die Kriminalität ein; der jüngere Sohn ist zwar klug und sensibel, aber in der Schule ein Außenseiter und sogenannter Problemschüler; die österreichischen Behörden sind eine erbarmungslose administrative Maschinerie, die alle zermalmt, die ihr zwischen die kalten Räder geraten – und zum Drüberstreuen gibt es noch den türkischen Macho. Hier werden zahlreiche Stereotype bedient – dass sich der Film „without a single cliché“ entfaltet, lässt sich also nicht ohne Weiteres unterschreiben. Dennoch zeigt Deine Schönheit ist nichts wert auch Zwischentöne in den Figuren und subvertiert damit die gezeigten Klischees. Vor allem die Männer – von Veysel über Mazlum bis hin zu deren Vater und schließlich Cem – legen eine rührende Sensibilität und Weisheit an den Tag, die sich selten in hohlen Phrasen erschöpft, sondern beinahe poetisch ist und, ja, manchmal an Kitsch grenzt – eben so wie die Gedichte Âşık Veysels, den sie alle verehren.

Wenn dieser singt, „Deine Schönheit ist nichts wert ohne meine Liebe zu dir“ – übrigens ein Minnesangmotiv: Niemand wüsste um die Lieblichkeit der besungenen Frau, würde der Minnesänger sie mit seiner Lyrik nicht huldigen –, stellt er jene universelle Wahrheit in den Raum, an der sich der Film letztlich abarbeitet: Der Wert eines Menschen bemisst sich auch stets daran, welcher Wert ihm zugeschrieben wird. Wenn der Familie bei der Beratung rund um die drohende Abschiebung gesagt wird, dass eine hervorragende Schulleistung Veysels sie eben davor bewahren könnte, zeigt die Asylpolitik ihre hässliche Fratze. Darf einem Kind eine solche Bürde aufgelastet werden? Darf Meritum die Währung sein, um einen Asylaufenthalt zu bezahlen? Und: Ist Menschsein allein überhaupt etwas wert? Deine Schönheit ist nichts wert wird diese Fragen – nicht ohne bittere Note – am Ende beantworten und gleichzeitig einen impliziten Appell an die ZuseherInnen richten, die Menschlichkeit dieser Antworten abzuwägen.

Bild, Ton & Extras

Im Film, der in Dolby Digital 5.1 bzw. 2.0 zu genießen ist, wird hauptsächlich Kurdisch bzw. Türkisch und nur teilweise Deutsch gesprochen, weshalb es deutsche Untertitel gibt. Dies ist authentisch, denn die Wahl der jeweiligen Sprache ergibt sich aus den jeweiligen Sprachsituationen, die hauptsächlich – wir sehen die Geschichte ja aus Veysels Sicht – zwischen ImmigrantInnen stattfinden. Von der Filmmusik, die die Emotionalität der Geschichte im Übrigen hervorragend unterstreicht, ist mir vor allem Âşık Veysels „Deine Schönheit ist nichts wert“ in Erinnerung geblieben. Selbst wenn ich das türkische Lied rational nicht erfassen kann, so trifft es für mich die Stimmung des Films genau; seine leise Wehmut ist jenseits jeglicher Sprache verständlich. Tristesse strahlen ebenso die Filmschauplätze aus, die sich hauptsächlich in eher heruntergekommenen Bezirken (Wiens), Gemeindebauten und (Straf-)Ämtern befinden. Auch die Kleidung der ProtagonistInnen und ähnliche Äußerlichkeiten zeigen: Sie gehören zur unteren sozialen Schicht und befinden sich schon allein deshalb am Rand der Gesellschaft. Filmset und Kostüm tragen so einen maßgeblichen Teil zur bedrückenden Gesamtstimmung des Films bei.

Hier findet ihr eine Auflistung des Bonusmaterials, das euch einen Blick hinter die Kulissen von Deine Schönheit ist nichts wert werfen lässt:

  • Behind the Scenes
  • Behind the Music
  • Outtakes
  • Trailer
  • Trailer international

Zusammenfassung

Regisseur Tabak nimmt uns auf die zweifache Reise des zwölfjährigen Immigranten Veysel mit: Er betritt nicht nur als Flüchtling, sondern auch als Kind, das die Schwelle zum Erwachsenwerden überschreitet, Neuland. Die Verknüpfung dieser beiden Wege ist wohl das, was den Film reizvoll macht: Der Protagonist muss sich auf doppelte Weise einem neuen, „anderen“ Ich stellen. Dabei ist es die kindliche Perspektive Veysels, die es uns ZuseherInnen ermöglicht, einen tieferen (emotionalen) Einblick in die bedrückende Situation seiner Familie, die gegen ihre Ausgrenzung und letztlich Abschiebung kämpft, zu bekommen; gerade dieser kindliche Blick ist es aber auch, der die Geschichte manchmal ins Pathetische kippen und die Charakterzeichnung stereotyp werden lässt. Wer sich jedoch bewusst auf diese Erzählperspektive einlassen und zudem verzeihen kann, dass hier die Männerfiguren im Mittelpunkt stehen – Veysels Mutter und seine heimliche Liebe, Ana, die eigentlich wichtige Rollen innehaben, bleiben eher blass –, wird mit Deine Schönheit ist nichts wert einen sensiblen Film zum Thema Immigration vorfinden.

Wertung: 8 Pixel

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