Dallas Buyers Club (Blu-ray) im Test

von Max Hohenwarter 14.10.2014

„AIDS ist auch nicht mehr das, was es mal war.“ Diesen recht doppeldeutigen Spruch schleudert mir, kaum habe ich die Box der Blu-ray von Dallas Buyers Club geöffnet, eine Werbekarte der Deutschen AIDS-Hilfe entgegen. Es stimmt schon: AIDS ist zwar noch immer eine Geißel der modernen Gesellschaft, und dennoch hat diese Krankheit etwas an Schrecken eingebüßt. Zu verdanken hat die Menschheit das unter anderem Leuten wie Ron Woodroof. Dallas Buyers Club erzählt seine Geschichte.

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Facts

  • Genre: Drama/Tragikomödie
  • Vertrieb: Ascot Elite Home Entertainment
  • Regie: Jean-Marc Valée
  • Release: 22. Juli 2014

 

Story

Ron Woodroof (Matthew McConaghey) ist ein mannhaftes Klischee, wie es im Bilderbuch steht. Elektriker, Weiberheld, Rodeoreiter. Wenn er sich nicht gerade mit Kleingaunereien über Wasser hält und währenddessen schwule Hollywoodstars diskreditiert, reitet er Rodeos und Groupie-Stuten in den Stallungen derselben zu – natürlich ohne „Zaumzeug“, denn einen Ron Woodroof schmeißt nichts aus dem Sattel. Denkt er. Doch plötzlich gehen seine Lichter aus. Als er im Krankenhaus wieder zu sich kommt, versucht ihm der behandelnde Arzt zu erklären, dass bei der vorangegangenen Routineuntersuchung sein Blut positiv auf HIV getestet wurde und er nur noch einen knappen Monat zu leben hätte. Ron wird wütend, als der Doktor ihn fragt, ob er jemals homosexuell aktiv gewesen sei. Er sei keine und er kenne auch keine dieser „verfickten Schwuchteln“, so Ron, denn das Einzige, was man sehe, wenn man ihn ansehe, sei das verfluchte Rodeo. Ficken sollen sie sich alle, denn was der Quacksalber da sage, sei Schwachsinn. Da draußen gebe es nichts, das einen Ron Woodroof in 30 Tagen töten könne.

Eine kurze Bibliotheksrecherche später lässt den toughen Cowboy aber einsehen, dass AIDS kein Problem der, wie er sie nennt, „Analritter“ allein, sondern zuvorderst eines von Drogenabhängigen und Menschen ist, die gern ohne Sattel reiten – egal, ob homo- oder heterosexuell.

Wenn bisher das Bild eines plumpen und homophoben Ron Woodroof gezeichnet wurde, dann entspricht das der Realität, jedoch darf nicht vergessen werden, dass auch das Bild eines Kämpfers mitschwingen soll. Denn anstatt sich auf den Boden zu legen und auf den Tod zu warten, geht Woodroof mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das Unausweichliche vor. Nachdem ihm das sich zu diesem Zeitpunkt in der Zulassung durch die FDA befindliche AIDS-Medikament verwehrt bleibt, erfährt er von einem Arzt in Mexiko, der HIV-Patienten mit einem speziellen Mix aus in den USA nicht erlaubten Vitaminpräparaten relativ erfolgreich behandelt. Die Therapie scheint zu greifen. Ron erkennt darin aber nicht nur sein Heil, sondern vor allem auch eine Methode, Geld zu verdienen. Daher lässt er sich mit der transsexuellen Rayon (Jared Leto) auf einen Deal ein, KundInnen für ihn zu finden, was zur Gründung des Dallas Buyers Club führt – eines Vereins, bei dem Mitglieder gegen eine monatliche Gebühr Zugriff auf Gratismedikamente erhalten, eben jene, die ihm der mexikanische Arzt verschrieben hat und die Ron nun in großem Stil in die USA importiert. Woodroofs reiner Unternehmergeist entwickelt sich jedoch bald zu einem höheren Idealismus. Dieser bringt ihn nicht nur dazu, sein bisheriges Denken über Schwule und Transsexuelle radikal zu ändern, sondern auch dazu, vom einsamen Überlebenskämpfer zum Revolutionär gegen eine engstirnige und von Profitgier regulierte Medikamentengesetzgebung zu werden.

Bild, Ton und Extras

Das Bild präsentiert sich in glasklarem und gestochen scharfem 1080p-Full-HD bei 24 Bildern pro Sekunde. Der Ton liegt im englischen Original und in deutscher Synchronfassung im Format DTS-HD Master Audio 5.1 vor und kann in Sachen Abmischung voll und ganz überzeugen. Extras sind reichlich auf dem Silberling, allerdings nur einige wenige davon tatsächlich sehenswert.

Die Interviews mit den DarstellerInnen, den Produzenten und dem Regisseur und eine kurze Featurette klären in knapper Form über die Charaktere des Films und die Rolleninterpretationen der SchauspielerInnen auf, bleiben aber nicht im Gedächtnis, da sie zu allgemein gehalten sind. Völlig unnötig finde ich persönlich das Extra namens Matthew McConaghey Photo Call, in dem man den Hauptdarsteller circa zweieinhalb Minuten bewundern darf, wie er sich nahezu wortlos in verschiedenen Posen vor dem Filmplakat einer hungrigen Pressemeute präsentiert und diese ihm zuschreit, wie er sich zu drehen hat. Was man sich dabei wohl dachte? Ansonsten finden sich die üblichen Trailer, ein Werbespot zum 30-jährigen Bestehen der Deutschen AIDS-Hilfe und ein bisschen B-Roll-Material in der Bonussektion. In dieser Hinsicht geht die Blu-ray von Dallas Buyers Club in Ordnung, kann aber definitiv nicht brillieren.

Kritik

Der mit einem Budget von nur knapp fünfeinhalb Millionen Dollar und in 25 Drehtagen realisierte Dallas Buyers Club von Jean-Marc Valée gehörte bei den diesjährigen Oscars zu den großen Abräumern und konnte mit drei Goldbuben – bester Hauptdarsteller, bester Nebendarsteller und bestes Make-up – glänzen. In der erstgenannten Kategorie hat er zwar gewonnen, aber meiner Meinung nach eher begrenzt berechtigt. Matthew McConaghey gibt die Rolle des durch einen Schicksalsschlag geläuterten und veränderten Raubeins zwar bravourös, aber bis auf die erschreckende Hingabe an die Rolle, die ihn dazu veranlasste, 22 Kilo Körpergewicht zu verlieren, empfinde ich die ebenfalls Oscar-nominierte Darbietung Leonardo DiCaprios in The Wolf of Wall Street um einiges memorabler und vor allem akzentuierter.

Doch nun zum eigentlichen Film. Dallas Buyers Club ist weniger ein Film über die Krankheit AIDS per se denn mehr einer über Veränderung. Ron Woodroofs Erkrankung ändert seine bisherigen Lebensumstände, was sich wiederum positiv auf ihn auswirkt. Er erkennt seine bisherigen Irrwege und wandelt das Leben vieler seiner Mitmenschen zum Besseren, wenn auch zu Beginn aus den falschen Beweggründen heraus. Somit zeigt uns der Film, dass das einzig Persistente im Leben die Veränderung ist, was einfach nur inspirierend wirkt. Denn egal, wie schlecht der Ersteindruck eines Menschen auf uns sein kann, so überraschend und erquickend kann es sein, zu wissen, dass Charaktere nicht nur schwarz und weiß sind, sondern dass unser aller Persönlichkeit und Wirken nie in Stein gemeißelt steht und wir zu Erneuerung fähig sind, wenn wir im schlimmsten Fall dazu gezwungen sind.

Das erstklassig geschriebene Drehbuch (Craig Borten und Melisa Wallack) vermittelt exzellent die damals gängige gesellschaftliche Einstellung, dass AIDS nur eine Angelegenheit ist, die die „scheiß schwächlichen Schwulen und Hinterlader angeht und sonst niemanden“, wie Ron es vor seiner Diagnose und der damit verbundenen personellen Veränderung wohl ausgedrückt hätte. Nicht umsonst bezeichnete man AIDS in früheren Jahren auch oft als „Schwulenkrebs“. Rodeo hingegen ist Männlichkeit, Härte, Konfrontation, nichts für Weicheier. Umso zynischer wirkt dann der Umstand, dass ausgerechnet einer dieser harten Haudegen, ein Ron Woodroof, den normalerweise nichts aus dem Sattel wirft, diese schreckliche Krankheit, diese Geißel der Menschheit, mit voller Wucht trifft. Auch wenn der wahre Ron Woodroof selbst kein Rodeo geritten ist, sondern sich maximal als Zuschauer dafür begeistern konnte, ist die dramaturgische Entscheidung, es mit der damals und leider auch heute noch gängigen Stereotypisierung Homosexueller, verweichlicht und schwach zu sein, zu kontrastieren, eine gute gewesen, denn so wirkt die Message des Films umso plakativer. Die grandiose Abschlussszene verwendet den finalen Bullenritt eines als „Schätzchen“ und „Schwuchtel“ denunzierten Kämpfers als starke Metapher und räumt so mit den Klischees auf.

Dallas Buyers Club ist definitiv ein sehenswerter und bewegender Film, der durch hingebungsvoll und überzeugend agierende DarstellerInnen, guten Schnitt und kraftvolle Bildsprache Veränderung nicht nur darstellt, sondern auch durchaus dazu inspiriert.

Wertung: 9 Pixel

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