Braid (PC) im #ThrowBackThursday-Test

von Ben Vollmann 21.01.2016

Das Jump and Run Puzzlegame Braid ist etwas ganz Besonderes. Bei seinem Release 2008 in der ersten Welle des sogenannten „Summer of Arcade“ war es eines der ersten, wenn nicht das erste Xbox Live Indie-Game, das eindrucksvoll aufzeigte, dass es keine 100-Personen-Teams und Multi-Millionen-Marketingbudgets braucht, um das Medium Videogames voranzutreiben. Indie-Games wie ’Splosion Man, LIMBO, Spelunky und FEZ verdanken Jonathan Blow, dem Schöpfer von Braid, so gesehen eine ganze Menge. Die Qualität von Braid erschöpft sich aber nicht in seiner historischen Signifikanz.

Back to the roots

In Braid steuert ihr den Protagonisten Tim auf seiner Reise durch die traumhaft schöne 2D-Welt aus der Feder des Webcomic-Zeichners David Hellman. Auf den ersten Blick ähnelt das Gameplay dabei Super Mario, dem Urvater des Genres. Tim kann laufen und springen und bahnt sich so seinen Weg durch einzelne Levels, die wiederum Teil größerer Welten sind. Selbst goomba-esque Gegner, die man mit dem altbekannten Sprung auf den Kopf unschädlich machen kann, gibt es in Braid. Als Motivation für das Abenteuer des kleinen Anzugträgers Tim muss ebenso wie in Super Mario eine Prinzessin herhalten. Wer jetzt denkt, dass Jonathan Blow mit Braid ein Spiel abgeliefert hat, das hauptsächlich von eurer Nostalgie für die Sternstunde der 2D-Plattformer lebt, liegt weit daneben. Im Gegensatz zu anderen Retro-Games ist die Rückkehr zu den Gameplay-Konventionen der 1980er in Braid nicht das erklärte Ziel, sondern nur der Ausgangspunkt für eine dekonstruktivistische Auseinandersetzung mit den Grundfesten von Videogames.

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The Times They Are a-Changin’

Die Frage, die Jonathan Blow mit Braid zu stellen scheint, ist: Was wäre, wenn man eine Zeitreise zurück in die Frühzeit von Videogames unternehmen könnte, um dort einen alternativen Weg einzuschlagen? Passend dazu findet die Möglichkeit, Zeit anzuhalten und rückwärts laufen zu lassen auch Eingang in das Gameplay von Braid. Im Gegensatz zu den anderen grundlegenden Mechaniken, die euch durch im ersten Level platzierte Schilder erklärt werden, offenbart sich Tims Zeitmanipulationstalent erst, wenn ihr zum ersten Mal sterbt. Anstatt beim obligatorischen Game-Cover-Screen zu landen, informiert euch das Spiel mit einem dezenten Hinweis darüber, dass ihr euren Tod per Tastendruck ungeschehen machen könnt. Der klassische Trial and Error Feedback Loop (Sprung nicht geschafft; tot; zurück zum Checkpoint; wieder zum fraglichen Sprung spielen und hoffentlich besser machen), wie man ihn aus Jump and Runs kennt und der oft mit einer gewissen Frustration einhergeht, verkürzt sich so enorm. Plötzlich könnt ihr ganz ohne Angst direkt und unmittelbar aus euren Fehlern lernen. Neben dem Einfluss, den die Rewind-Mechanik so auf die Plattforming-Passagen hat, bildet sie auch die Grundlage für die Rätsel in Braid.

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Die Möglichkeit der Manipulation von Zeit ist der Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Aha-Momenten, die euch in Braid erwarten. Ähnlich wie Portal respektiert Braid den Spieler insofern, als es ihn ermutigt, bereits Gelerntes nicht bloß stupide zu wiederholen, sondern es zu reflektieren und weiterzudenken. Der Schwierigkeitsgrad steigert sich im Verlauf des Spiels sukzessive, was dazu führt, dass ihr wahrscheinlich mehrmals vor einem Rätsel stehen werdet, das unlösbar wirkt. Der nonlineare Aufbau des Spiels – trotz der Sidescroll-Ästhetik könnt ihr Rätsel oder Levels auslassen – animiert euch aber, diese harten Nüsse einfach zu überspringen, bis ihr euch dazu in der Lage fühlt, sie zu knacken. Wenn ihr schließlich eines der härteren Rätsel löst, ist das ein unbeschreiblich befriedigendes Gefühl. Das liegt sicher auch daran, dass ihr in Braid kein einziges Rätsel finden werdet, dessen Lösung euch – egal, wie lange ihr euch das Hirn darüber zermartert habt – nicht einfach und naheliegend vorkommt.

The princess is in another castle

Wie das Gameplay spielt auch die Story, die hauptsächlich über den Levels vorgelagerte Räume mit Büchern vermittelt wird, mit Videogamekonventionen und -klischees und subvertiert diese. Tim ist zwar wie Mario auf der Suche nach der Prinzessin, die von einem üblen und bösen Monster entführt worden ist, sein Eingeständnis, dass er selbst die Schuld dafür trägt, weist aber bereits darauf hin, dass in Braid die Beziehung zwischen der auf Rettung wartenden Prinzessin und ihrem Ritter in strahlender Rüstung weit komplexer angelegt ist als in Super Mario Bros. Auch die „Feinde“ im Spiel gewinnen im Gegensatz zu Super Mario an Plastizität. Die goomba-esquen Wesen sehen nicht nur traurig aus, auch ihr Todesschrei klingt wie eine Klage, die euch darüber nachdenken lässt, ob Tim nicht mehr Mörder als Held ist.

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Es gibt noch zahlreiche Beispiele für kleine Anspielungen, versteckte Botschaften und grandiose Momente in Braid, die bloß zu beschreiben am Ziel vorbeischießen würde. Denn das wahrscheinlich größte Kompliment, das man Jonathan Blow machen kann, ist, dass er mit Braid ein in sich stimmiges Gesamt(kunst)werk geschaffen hat, das mehr als jedes andere Spiel, das ich je gespielt habe, von seiner Beziehung zum Spieler lebt. Braid sollte – nein, muss man gespielt haben.

10

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[…] deutlich mehr als 100.000 mal verkauft und dabei um die 5 Millionen USD eingespielt. Zum Vergleich: Braid hat seinerzeit ein ganzes Jahr gebraucht um auf ähnliche Zahlen zu kommen. Der höhere Preis von […]