Mahler nach Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften im Test

von Natalie Lamprecht 24.02.2014

Eine knackige Synopsis zu Robert Musils die deutschsprachige Literatur nachhaltig prägendem Buch Der Mann ohne Eigenschaften zu verfassen, scheint ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen zu sein. Selbst findige GermanistInnen wie Jürgen Neckam, der mit seinem Literaturlexikon 500 Romane in einem Satz versuchte, die Geschichte der wichtigsten Romane der Weltliteratur in einen Satz zu packen, kapitulieren vor dieser schier unlösbaren Aufgabe – was unter anderem daran liegen mag, dass a) das Werk mehr als 2000 Seiten umfasst, b) es langatmig und teilweise schwer zugänglich ist und, daraus resultierend, c) es weniger Leute gelesen haben, als die vielen Lobhudeleien über Der Mann ohne Eigenschaften suggerieren. Ganz recht: Das Werk ist wohl eines der meistungelesenen Werke, seit es den gedruckten Text gibt, und fristet trotz seines guten Rufes in vielen Bücherregalen ein tristes Dasein als Staubfänger.

Wie gut, dass es Menschen wie Nicolas Mahler gibt, die vor der intellektuellen Herausforderung, dieses monströse Werk zu lesen und zu verstehen, nicht zurückschrecken, und, wohl getrieben von einem philanthropischen und philologischen Impetus gewürzt mit einer Prise hintergründigem Humor, versuchen, die Geschichte barocken Ausmaßes auf ein Minimum zu reduzieren und so auch eigentlich daran interessierten, aber ungleich ungeduldigeren Menschen zugänglich zu machen. Und wie gut, dass Mahler zudem nicht Schriftsteller, sondern Zeichner – Comic- und Graphic-Novel-Zeichner – ist. Er serviert uns das Werk in zeichnerisch wie auch sprachlich destillierter Form, die die Lektüre des Romans zwar schmackhaft, aber nicht obsolet macht: Denn ohne zu wissen, worum es in Der Mann ohne Eigenschaften geht, ist seine Graphic Novel nur bedingt nachzuvollziehen. Doch worum geht es in Musils Werk? Ich könnte nun auf die Einleitung dieses meines Textes hinweisen, oder darauf, dass auch ich nach 200 Seiten aufgegeben habe und deshalb nicht genau weiß, wovon das Werk eigentlich handelt. Da ich aber auf eine gelungene – wenn auch tentative – Zusammenfassung im Online-Kurier gestoßen bin, zitiere ich einfach diese:

„Man kann (und soll) es wirklich nur andeuten: Der Philosoph und Mathematiker Ulrich, der etwas Bedeutendes werden will und mit einer Gelegenheitsprostituierten zusammen ist, nimmt ,Urlaub vom Leben‘: Er mischt sich im Jahr 1913 in der Hofburg unter die wichtigen Leut’: Ulrich nimmt Teil an den Planungen für eine große Aktion anlässlich des 70-Jahr-Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1918. Nichts geht weiter, aber geredet wird. Sind Gemütsbewegungen innere Ausscheidungen? Ist Trunksucht mit dem Zwang, wissen zu müssen, vergleichbar? Ist wenigstens auf die Ichsucht noch Verlass auf der Welt?

Während Ulrich seinen Weg sucht, hat ihn der Lustmörder Moosbrugger gefunden: Er wird zum Tod verurteilt. Was zu weiteren Reflexionen und Essays führt. Denn wenn jemand nur teilweise zurechnungsfähig ist – kann man dann den ganzen Menschen bestrafen?“ (Quelle: Kurier, erstellt am 13.11.2013, 07:47, http://kurier.at/kultur/literatur/der-mann-ohne-eigenschaften-robert-musil-in-30-minuten/35.374.688).

Stimmt, ich hätte eine eigene Zusammenfassung formulieren und mir darüber hinaus ein paar Gedanken zur Bildmächtigkeit Musils Sprache, zur Tatsache, dass Der Mann ohne Eigenschaften ein kluger, ironischer Kommentar zur sogenannten Moderne ist, sowie zur tragischen Entstehungsgeschichte machen können – das wollte ich aber nicht. Und gehöre damit wahrscheinlich zu einem nicht unwesentlichen Teil des Zielpublikums von Publikationen, wie Mahler sie nun herausgebracht hat: den bisschen Faulen, die aber dennoch mitreden und sich bei Diskussionen mit anderen – die das Buch wahrscheinlich ebenso wenig oder nur fragmentarisch gelesen haben – so wenig Blöße wie möglich geben möchten.

Facts

  • Genre: Literaturadaption
  • Verlag: Suhrkamp Verlag
  • Autor: Nicolas Mahler nach Robert Musil
  • Erscheinungstermin: 11. November 2013

MoE_Mahler

Dass Mahler seine Adaption mit einem Augenzwinkern umgesetzt hat, lässt sich schon nach dem ersten Blättern, noch in der Titelei, feststellen, in der er die gängige Abkürzung für den Titel Der Mann ohne Eigenschaften, MoE, aufgreift – diese Verkürzung ist für Mahlers Musil-Umsetzung programmatisch, wahrscheinlich auch für sein Schaffen an sich. Mit minimalistischem Strich in Schwarz, Weiß und gedämpftem Grün sowie ausgesuchten Zitaten aus dem Buch erzählt und zeichnet der Comickünstler die Geschichte rund um den Protagonisten Ulrich, den Mann, der angeblich keine Eigenschaften hat. Dieser vertreibt sich die Zeit anscheinend mit Nichtstun, Frauen und der in der Inhaltsangabe erwähnten Planung der „Thronjubiläumsaktion“ für den Kaiser, die wiederum, wie die Graphic Novel zeigt, dem Nichtstun sehr nahe kommt. Auch die Taten des Frauenmörders Moosbrugger sind kurz, aber eindringlich geschildert, wobei die Gedanken, Verhöre und das Gefängnisdasein des Serientäters stets mit Ulrichs Leben und (Nicht-)Wirken konterkariert und die beiden Erzählstränge letztendlich miteinander verwoben werden.

Die Graphic Novel greift viele Figuren, Motive und Handlungselemente nicht auf, entwirft und interpretiert den Klassiker neu. Doch genau das macht ihren Reiz aus: Es ist keine simple Wiedergabe, es ist ein Destillieren und Perspektivieren, das Mahler hier vornimmt, ein Verschärfen der Ironie, bis sie schwarz wird – und uns das Lachen im Halse stecken bleiben lässt. Etwa gegen Ende, wenn die Handlung so dahinplätschert, dies von Mahler mit Musils Worten „Wir überschätzen maßlos das Gegenwärtige, das Gefühl der Gegenwart, das, was da ist. Wir überschätzen das“ kommentiert und damit uns LeserInnen die Bedeutungslosigkeit jedes Tuns – Ulrichs, der ja danach strebt, bedeutsam zu werden, natürlich; aber auch des unseren – bewusst gemacht wird.

Was bleibt, ist das Gefühl, nicht alle Zusammenhänge verstanden zu haben, die Geschichte kennen zu müssen, um die Graphic Novel vollständig zu begreifen; und auch, dass Der Mann ohne Eigenschaften vielleicht doch nicht so sperrig und langwierig (langweilig würden manche sagen) ist, wie man unter Umständen glaubt oder fürchtet. Wer sich dennoch nicht zur Lektüre des Originals durchringen kann, dem oder der sei Mahlers Der Mann ohne Eigenschaften trotzdem sehr ans Herz gelegt. Denn wie hieß es so schön dazu in der Rezension der Graphic Novel in der Südhessenwoche: „Lieber Mahler lesen als gar keinen Musil, und wenn doch Musil, dann Mahler auf jeden Fall noch dazu!“

Ich für meinen Teil werde den Romankoloss nun doch wieder aus der Versenkung holen, abstauben, und dem Mann ohne Eigenschaften noch eine Chance geben. Danke, Mahler!

9.5

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