Donʼt Starve (PC) im Test

von Ben Vollmann 18.03.2014

Der Tendenz, Big-Budget-Computerspiele zunehmend einsteigerfreundlicher und leichter zu gestalten, stellen sich in den letzten Jahren vor allem Indiegames mit einer Rückbesinnung auf die Old-School-Designprinzipien der extrem schweren Games aus den 80er- und 90er-Jahren entgegen. Spätestens, seit Spelunky, Rogue Legacy, The Binding of Isaac und Konsorten das cholerische Fluchen wieder zu einem akzeptierten Bestandteil der Gaming Experience gemacht haben, sind sogenannte „Roguelikes“ mainstreamtauglich geworden.

Wem der Begriff „Roguelikes“ geläufig ist, der weiß, dass Games dieses Genres von zwei zentralen Prämissen bestimmt werden. Jeder Tod ist endgültig: kein Respawn, keine Phönixfeder, keine Checkpoints. Stirbt man, heißt es ohne Gnade zurück zum Anfang. Außerdem ist die Welt zufallsgeneriert: Jedes Mal, wenn man das Spiel beginnt, ist alles neu. Kein Dungeon, keine Höhle und keine Weltkarte gleichen der vorherigen. Genau diese Grundregeln gelten auch in Don’t Starve. Multipliziert man die Härte und den Abwechslungsreichtum eines klassischen „Roguelikes“ mit einem Craftingsystem à la Minecraft und streut eine gehörige Prise Tim Burton über das Resultat, kann man sich so in etwa vorstellen, was die SpielerInnen bei Don’t Starve erwartet.

Eat to Live

Die Geschichte beginnt mit dem Gentleman und Wissenschaftler Wilson Percival Higgsburry, der in bester Frankenstein-Manier in seinem gruseligen Labor vor sich hin experimentiert. Nachdem wieder einmal eines seiner Projekte in einer Rauchwolke endet, ertönt urplötzlich eine mysteriöse Stimme, die Wilson anweist, eine Maschine zu bauen. Dem Wissenschaftler scheint das gerade gelegen zu kommen, und so macht er sich eifrig an die Umsetzung des Projekts. Da seine Neugier größer ist als sein Verstand, setzt er das teuflische Konstrukt schließlich auch in Gang und wird prompt mit einem gewaltigen Knall und einem Lichtblitz belohnt. Als er wieder zu sich kommt, findet er sich in einer ganz und gar unwirtlichen Gegend wieder, wo ihn der hagere Besitzer der mysteriösen Stimme schon erwartet. „Say pal, you donʼt look so good. You better find something to eat before night comes!“, spricht er, verschwindet in einer Wolke aus Staub so schnell wie er aufgetaucht ist und lässt Wilson allein in der düsteren Welt von Don’t Starve zurück. Dass die Aufforderung des Schurken keine bloße Floskel ist, offenbart dann der erste Blick auf die rechte obere Bildschirmecke, wo sich jene drei Anzeigen finden, die den Alltag des knuffigen Forschers Wilson und damit das Gameplay entscheidend bestimmen. Neben dem Magen, den der Wissenschaftler durch regelmäßiges Futtern bei Laune halten muss, gibt es da noch ein Herz, das seine Lebensenergie zeigt, und ein Gehirn, dessen Zustand stellvertretend für die geistige Gesundheit des Gestrandeten steht.

image4

Get by

Don’t Starve ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Survival-Game. Um zu überleben, muss nicht nur Nahrung für Körper und Geist herangeschafft werden (Beeren und Karotten gegen den Hunger, Blumen gegen Melancholie und Wahnsinn), auch das Feuerholzsammeln gehört zum Daily Grind. Denn bricht erst die Nacht herein, ist ein Feuer das Einzige, was die Dunkelheit auf Distanz und Wilson am Leben hält. Während ihr als Wilson die Nächte am Lagerfeuer verbringt, solltet ihr die Tage dazu nutzen, eure Vorräte aufzustocken und eine Basis aufzubauen. Neben den Erfahrungen im Umgang mit der befremdlichen Welt, die ihr dabei nach und nach sammelt, hilft euch vor allem die Unzahl von Werkzeugen, Waffen und Materialien, die ihr herstellen könnt, beim Überleben. Was dem „Minecraft-ler“ seine Werkbank, ist Wilson seine Wissenschaftsmaschine. Mit dem Gerät lassen sich aber nicht nur Kisten, Rucksäcke, Speere und Papyrus fertigen; beherrscht ihr einmal die hohe Kunst des Crafting, könnt ihr sogar eigene Bienenstöcke auf- oder ein magisches Amulett zur Lebensverlängerung herstellen. Die teils abstrusen Zutaten, die ihr dafür benötigt, findet ihr auf die verschiedensten Arten. Mal müsst ihr es dafür mit einem Gegner aufnehmen, mal reicht es, am richtigen Ort zu suchen.

image3

The Nature

Trotz der vielen Orte und Materialien, die es in der zufallsgenerierten Welt zu finden gibt und die zum Erkunden und Herumschlendern einladen, verlangt Don’t Starve vor allem Disziplin und Planung. Wer glaubt, er könne seinem Forscherdrang freien Lauf lassen und einfach drauflosspazieren, wird ziemlich schnell eine der zahlreichen Arten zu Sterben kennenlernen, die es in Don’t Starve gibt. Ob ihr dabei einem brütenden Großvogel zu nahe kommt, einem Schwarm Fledermäuse zum Opfer fallt oder euch die Dunkelheit erwischt – das Spiel kennt keine Gnade. Im Grunde ist jedes noch so ungefährlich aussehende Tier und so manche Pflanze eine Gefahr für euer Leben. Gegen die ungastliche Welt von Don’t Starve wirkt sogar die Flora und Fauna Tasmaniens wie ein Wellness Spa. Egal, wie gut abgesichert ihr euch fühlen mögt, selbst mit einer wunderschön ummauerten Basis und dem prächtigsten Gemüsegarten seid ihr nicht davor gefeit, bei Wintereinbruch jämmerlich zu verhungern oder zu erfrieren – und das heißt dann zurück an den Anfang, ganz an den Anfang.

image5

Country Cousins

Das Einzige, was nach eurem Tod bleibt, sind ein paar Erfahrungspunkte, mit denen ihr nach und nach neue spielbare Charaktere freischaltet, die allesamt ihre Eigenheiten haben. Da wären zum Beispiel Wolfgang, der starke, aber furchtsame Bodybuilder, Wendy mit ihrer spooky Zwillingsschwester oder Willow, die aus Nervosität Waldbrände verursacht. Besonders wegen des hohen Schwierigkeitsgrads und des mit jedem Tod einhergehenden Gefühls, gerade einige Stunden Spielfortschritt verloren zu haben, sind die freischaltbaren Charaktere ein wichtiger Trost und motivieren zum Weiterspielen.

image6

Beautiful Struggle

Don’t Starve ist wahrscheinlich nicht jedermanns Sache. Wer eine niedrige Frustrationsschwelle hat und findet, dass freundlich gesetzte Checkpoints eine der größten Errungenschaften von Videogames sind, wird mit dem Spiel nicht glücklich werden. Vielleicht braucht es ein gewisses Maß an Masochismus, um Gefallen an der düsteren, feindseligen Welt von Don’t Starve zu finden, auf jeden Fall braucht es aber eine Schwäche für eine Designästhetik, die SpielerInnen gleichermaßen Neugier wie Kombinationsgabe zutraut. Anstatt ihnen in obligatorischen Tutorials jeden Tastendruck bis ins Detail zu erklären, überlässt Don’t Starve sie stattdessen einfach ohne Erklärung ihrem virtuellen Schicksal. Und irgendwie macht gerade das einen großen Teil des Appeals von Don’t Starve aus. Man fühlt sich in eine Zeit zurückversetzt, in der man als Link durch die Wälder Hyrules streifte und hinter jedem Baum etwas ganz und gar Fantastisches erwartete; zurückversetzt in eine Welt, die weder glatt gebügelt noch durch die Focus-Test-Mangel gedreht wurde und den SpielerInnen zutraut, ohne blinkende Wegpunkte ans Ziel zu kommen.

Kein Händchenhalten, keine nervigen Hinweisfenster, nur eine reiche und geheimnisvolle Welt, deren Gesetze und Geheimnisse man erforschen, entdecken und erleben kann, wenn man den Daily Grind der Grundbedürfnisbefriedigung so weit im Griff hat, dass man Zeit dafür findet, einen Spaziergang im Wald zu machen. Obwohl die Balance zwischen stressigem Management und freiem Erforschen nicht immer ganz funktioniert, ist Don’t Starve doch ein zutiefst charmantes Spiel, das man allen empfehlen kann, die sich – den Controller und das eigene Temperament fest im Griff – gern unvoreingenommen auf Entdeckungsreise begeben.

Wertung: 9 Pixel

für Donʼt Starve (PC) im Test von